Die offene Gesellschaft und ihre Feinde
Philipp Grätzel von Grätz 20.02.2003
Die Ankündigung der Herausgeber mehrerer großer wissenschaftlicher
Zeitschriften, sicherheitsrelevante Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der
Biomedizin zu zensieren, lässt einige Fragen offen
Zu einem seit dem zweiten Weltkrieg einmaligen Schritt haben sich am Samstag die
Herausgeber von insgesamt 18 internationalen
wissenschaftlichen Zeitschriften durchgerungen und eine
Stellungnahme unterzeichnet, in der sie ankündigen, sich künftig
bei der Veröffentlichung möglicherweise sicherheitsrelevanter biomedizinischer
Forschungsartikel einer Selbstzensur zu unterwerfen ( Maulkorb
für die Wissenschaft).
Die Initiative ist eine Reaktion auf den 11. September 2001 und die darauf folgende
Periode der Angst vor Milzbrandattacken in den Vereinigten Staaten. Eingeschränkt
werden soll in Zukunft vor allem die Veröffentlichung von Forschungsartikeln, die
entweder als Gebrauchsanleitung zur Herstellung von biologischen Waffen gelesen
werden könnten, oder die darauf abzielen, Bakterien oder Viren waffentauglicher zu
machen. "Wenn der Herausgeber zu der Überzeugung gelangt, dass der potentielle
Schaden einer Veröffentlichung den Nutzen übersteigt, dann sollte der entsprechende
Artikel überarbeitet oder gar nicht veröffentlicht werden", heißt es in dem Aufruf.
Wie Nicholas Cozzarelli, Chefredakteur von PNAS, in einem
Editorial erläutert, würde ein solches ablehnendes Urteil nicht der
Willkür eines einzelnen Redakteurs überlassen, sondern in enger Zusammenarbeit mit
namhaften Wissenschaftlern der jeweiligen Fachrichtung gefällt. Dass die Entscheidung
darüber, welche Artikel abgelehnt oder aus Sicherheitsgründen verändert werden sollten,
im Einzelfall äußerst schwierig sein kann, geben auch die Unterzeichner des Aufrufs zu.
Abgewägt werden muss hier nicht nur zwischen Sicherheit und Freiheit der Forschung. Da
man sich auf biomedizinischem Terrain befindet, stehen natürlich auch berechtigte
Interessen möglicher Patienten an bestimmten Forschungsergebnissen mit im Raum.
Von selbsternannten Wächtern ...
Auf eine nahe liegende Frage bleibt dieser scheinbar philanthropische Aufruf eine
Antwort schuldig: Erfährt die Öffentlichkeit, was man ihr vorenthält? Wenn - wofür
einiges spricht - die Selbstzensur künftig tatsächlich auf konspirativem Niveau abläuft,
dann sollte ein schaler Geschmack im Mund aller liberal denkender Menschen bleiben. Es
kann nicht sein, dass nur ein paar Eingeweihte wissen, wie viele und welche
Informationen aus staatlich finanzierter Forschung der Öffentlichkeit vorenthalten werden.
Denkbar wäre dagegen, dass »Kochrezepte« zum Bombenbauen tatsächlich aus der Public
Domain heraus gehalten werden. Man sollte dann aber über eine Rubrik diskutieren, die
etwa heißen könnte: "In diesem Monat haben wir Artikel zu folgenden Themen aus
Sicherheitsgründen nicht veröffentlicht". Dies würde der Öffentlichkeit zumindest erlauben, die Quantität der geblockten Informationen einzuschätzen.
Der zweite etwas heikle Punkt der Initiative scheint mir darin zu bestehen, dass hier eine
Gruppe von Insidern relativ willkürlich beschließt, an welchen Stellen moralische
Grenzen zu ziehen sind. Menschen, die sonst keine Gelegenheit versäumen, noch so
abstruse Tätigkeiten im Namen der Forschungsfreiheit als legitim zu klassifizieren,
präsentieren sich hier plötzlich als die Moralwächter der Welt. Immerhin ist Bioterror bei
weitem nicht das einzige moralisch problematische Kapitel der modernen Biomedizin.
Gegner jeglicher Embryonenforschung etwa könnten durchaus auf die Idee kommen, die
Legitimität der Veröffentlichung von Arbeiten zur human Embryonenforschung mit dem
Hinweis auf die zahlreichen »Opfer« dieser Experimente in Frage zu stellen. Ich möchte
das hier nicht ethisch kommentieren oder beides vergleichen. Es ist aber ein Punkt, an dem
die Befürworter einer wissenschaftlichen Selbstzensur früher oder später in
Erklärungsnöte kommen werden, insbesondere dann, wenn von außen keiner genau
nachvollziehen kann, was eigentlich zensiert wird.
Kommentare:
Der Irrsinn als Chance... (Dr. Kloebner, 20.2.2003 22:01)
Der 3. Punkt: Wer überwacht die Zensoren (DasKleineDummerchen, 20.2.2003 16:58)
du fragst...? (Pincinato, 20.2.2003 15:38)
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last modified: 19.02.2003
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