Die neuen Stars im Musikgeschäft
Rolf Breitenstein 01.03.2003
Erst die Meme, dann die Musik
Die Musik diente den Memetikern wie Dawkins oder Blackmore schon immer als
Beispiel. Melodiefragmente vermehren sich eigenständig durch Nachsingen und
überleben damit oft Jahrhunderte . Klassisch wird hier die Schicksalssymphonie von
Beethoven (Tatattam), die Kleine Nachtmusik von Mozart oder der Trauermarsch von
Chopin angeführt. Die ersten Formen der Meme wurden bei Vögeln beobachtet, sie
imitieren das Gezwitscher ihres Nachbarn und damit verbreiten sich bestimmte
Tonfolgen bis an geografische Grenzen. Bei den Menschen fressen sich solche
Ohrwürmer ebenfalls durch die Bevölkerung. Jeder kennt Volks- und Kirchenlieder,
aber keiner weiß, woher sie kommen. Wissenschaftler zerbrechen sich über diese Frage
oft lange den Kopf, recherchieren und kommen zu einem Ergebnis. Hinterher sind sie
sich aber immer noch nicht sicher, ob derjenige, den sie als Komponisten vermuten, doch
nicht jemand ist, der das Lied von jemand anderem hat.
Diese Fälle werden mit der Zeit immer seltener, weil Meme besser überleben, wenn sie
untereinander eine Kooperation eingehen. Zwei oder mehr von ihnen kleben sich zusammen
und können damit besser neue Gehirne erobern. Ein Mem hat besonders dann bessere
Verbreitungschancen, wenn es schon eines gibt, an das es sich anhängen kann.
Medien sind Beschleunigungsverstärker in der Zirkulation der Meme
Die Musikstücke, die mit dem Wissen über den Urheber verknüpft sind, vermehren sich
besonders erfolgreich. Die Musik verweist auf den Komponisten und der Komponist auf seine
Musik. War die Musik bekannt, war auch der Komponist bekannt. Schrieb er ein neues Stück,
wurde es gleich mit bekannt. Der Name des Schöpfers ist ein Garant für die Qualität der
Musik und damit hat es jede neue Melodie einfach, sich in die Köpfe der Zuhörer zu singen.
Wachstum und Verbreitung brauchen Zeit. Genau wie Pflanzen und Insekten nicht von heute
auf morgen einen Raum besiedeln können, ist es auch mit den Memen. Die Mundpropaganda
dauert, viele Menschen müssen viel kommunizieren, bis das Mem eine Bevölkerungsschicht
durchdrungen hat. Nur geübte Orchester konnten einst die Komplexität der Noten klassischer
Komponisten in hörbare Musik verwandeln. Für die Künstler vor der Moderne war das ein
Problem, denn die Zeit zwischen Komposition und Erfolg was mitunter so groß, dass sie
vorher starben. Haydn war einer der wenigen, der seinen Erfolg noch miterleben durfte. Viele
andere kamen erst nach ihrem Tod zu angemessenen Ehrungen.
Die Moderne schaffte Abhilfe. Tonträger, Rundfunk, Fernsehen und Zeitungen sind die
Medien, in denen die Meme um ein vielfaches schneller zirkulieren können als früher. Die
Replikation geht nicht mehr Face-to-Face, sondern ein gesendeter Kommunikationsinhalt trifft
gleichzeitig auf Hunderte oder Tausende von Empfängern. Wer hier gute Musik macht, fällt
schnell auf und hat die Chance, die Früchte seiner Arbeit noch in dem Alter zu genießen, in
dem man sich der Öffentlichkeit noch zeigen kann.
Die Meme über den Künstler sind für ihn das Kapital, das es ihm ermöglicht, seine Geschäfte
fortzusetzen oder, anders gesagt, den Erfolg anschlussfähig zu halten. Das Problematische ist
die Unberechenbarkeit dieser Meme, sie machen mit uns, was sie wollen. Sie vermehren sich
erst dann, wenn sie es wollen und nicht wenn der Schöpfer es will. Das Schwierige ist, die
Vermehrung ins Laufen zu bringen. Hat der Künstler erst einmal eine Schwellenbekanntheit
erreicht, läuft alles andere von alleine.
Das Musikgeschäft aus der Mem-Perspektive betrachtet
Seit dieser Erkenntnis ist es sinnvoll, das Musikgeschäft nicht mehr von der Musik aus zu
betrachten, sondern von den Memen. Der Markt ist schon seit einiger Zeit gesättigt mit Stars,
die gute Musik machen, und zwar so, dass die Aufmerksamkeit der Bevölkerung absolut
ausgelastet ist. Die Meme mussten daher mit einem Gewaltakt freigesetzt werden. Nachdem
die Künstler schon möglichst sexy aussahen, half nur noch das Skandalöse. Eine Sängerin zog
sich auf der Bühne aus, andere Bands verwüsteten regelmäßig Hotels oder schlachteten bei
ihren Aufführungen Schweine mit Kettensägen. Ein schlechtes Image drückt nach herrschender
Meinung die Verkaufszahlen. Das trifft in der Realität aber nicht immer so zu, viele Zuschauer
mögen abweichendes Verhalten. Ist ein Mem einmal im Umlauf, kann es zwar nicht mehr aus
der Welt geschafft werden. Jeder Versuch, dies zu tun, führt nur noch zu einer stärkeren
Verbreiterung. Allerdings kann es durch eine gute Tat, wie einer Spende an ein Waisenhaus,
immer noch zum Guten irritiert werden. Es kommt also auf die richtige Mem-Kreation, die
richtige Mem-Freisetzung und das richtige Mem-Management an.
Das Musikgeschäft hat sich in den letzten Jahren extrem gewandelt. Zeiten, in denen sich fünf
Jungs in Manchester zusammengefunden haben und mit Liedern über gelbe U-Boote die Welt
eroberten, sind vorbei. Auch der Status eines kiffenden Hippies ist nicht mehr die
Voraussetzung, um in diesem Business die Millionen zu machen. Seit der Love Parade ist auch
die technophile Jugend einer eindeutigen Meinung: »Kapitalismus ist geil«.
Der Bereich der Popkultur, der zwar immer als Unkultur bezeichnet wird, im historischen
Rückblick dann aber doch wieder zur Kultur wird, hat schon den einen oder anderen
kulturellen Zug verloren. Das Management-Wissen findet auch hier seine Anwendung. Stars
werden heute industriell gefertigt. Die Wertschöpfungskette zerfällt wie in der
Computerbranche in einzelne Wertschöpfungsschichten. Melodien und Texte werden von
separaten Akteuren gefertigt und zum Schluss kommt ein gecastetes Frontend oben drauf,
damit das Produkt präsentierbar ist.
Umkehrung: Zuerst das Mem, dann das Produkt
Das Interessante ist aber eigentlich die Frage, ob das Mem oder das Produkt als erstes das
Licht der Welt erblickt. Normalerweise wird das Produkt zuerst geboren. Wenn das einmal da
ist, entwickeln sich die entsprechenden Meme, angeheizt durch Mundpropaganda und
Werbung. Ohne diese Meme kann nichts verkauft werden, denn woher sollten die Kunden
sonst wissen, was sie kaufen sollen?
Der Lebenszyklus eines Produkts verläuft normalerweise glockenförmig. Genau wie bei der
dazugehörigen Infektionskurve der Meme, welche die Bevölkerung durchseuchen. Bei der Musik kann dies daran beobachtet werden, wie sich die Titel in den Charts auf und ab
bewegen. Das Lied entsteht, ist zunächst unbekannt, findet mit der Zeit immer mehr Anhänger,
bis es irgendwann jeder kennt. Mit jedem Konsumakt vermehrt sich das Produkt von selber,
besonders wenn Radiosender es spielen, um die Aufmerksamkeit ihrer Zuhörer wiederum an
ihre Werbung zu binden. Nachdem es jeder kennt wird es langweilig, das Mem stirbt ab, und
der Titel versinkt in der Vergessenheit.
Pfiffige Manager drehen das Spiel mit den Memen einfach um, denn der klassische Weg
beherbergt eine tödliche Form der Kontingenz - das Produkt kann bekannt werden, muss es
aber nicht. Das Produkt ist geschaffen, die Kosten sind versunken und wenn der Erfolg
ausbleibt, entsteht eine klassische Investitionsruine. Die egoistischen Meme treiben ihr
eigenes Spielchen mit uns und sie interessiert es kein Stück ob irgendwer Erfolg durch sie hat
oder nicht. Besser ist es daher, zunächst das Mem in die Welt zu setzen und erst dann, wenn es
sich verbreitet hat, ein dazugehöriges Produkt zu schaffen. Hat sich das Mem einmal
erfolgreich verbreitet, verkauft sich das Produkt von ganz alleine.
Diese Art der Verwertung kommt im Medienbereich langsam in Mode. Zu erst bediente man
sich bei Schauspielern aus Seifenopern. Da sie ohnehin schon jeden Tag auf der Mattscheibe
zu sehen sind, kann es auch keine schlechte Idee sein, sie ins Tonstudio zu zerren, auch wenn
sie ein musikalisches Talent wie 500g Hackfleisch haben.
Da sich Mem und Talent oft nicht auf eine Person vereinigen, ist die Kreativität der
Medien-Manager gefragt. Gute Musiker kommen mit der Zeit in ein Alter, wo sie nicht mehr
öffentlichkeitstauglich sind. Sie schreiben die Musik und andere müssen sie singen. Junge
Leute, die gut aussehen und dazu noch gut singen können, sind aber selten. Sie können daher
auch aus einer möglichst großen Masse an Leuten durch ein sog. Casting herausgefiltert
werden.
Dieser Casting-Prozess spielt sich normalerweise unter Ausschluss der Öffentlichkeit ab.
Eigentlich abwegig, da die Kandidaten sich hinterher in der Öffentlichkeit präsentieren
müssen. Was liegt da näher, als aus dem Casting eine Show zu machen und den ganzen
Selektionsprozess ins Fernsehen zu verlagern ( Superstar: Das wohl ehrlichste Sendeformat
der Popwelt) Der Erfolg ist damit garantiert. Egal, was am Ende des Spektakels herauskommt,
es ist auf jeden Fall ein Markterfolg. Durch die Aufführung des Vorspiels sind jetzt genug
Meme in der Bevölkerung - auf die Art der Musik kommt es dann gar nicht mehr so sehr an.
Es wird daher immer Künstler geben, die besser sind, aber wegen der Herrschaft der Meme
werden sie möglicherweise für immer unbekannt bleiben.
Kommentare:
oder vielleicht doch ? (Bernhard Betancourt, 2.3.2003 21:02)
Ach? (the observer, 2.3.2003 18:59)
Hat sie nicht. (the observer, 2.3.2003 18:53)
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last modified: 28.02.2003
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