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Yadgar schrieb am 23.3. 2020 um 15:51:07 Uhr über

GeierSturzflug

Plattentalk mit Yadgar, Folge 2: Geier Sturzflug - Heiße Zeiten

Nach meiner (vorläufigen!) Enttäuschung mit Zara-Thustra musste im Frühling 1983 Musik her, die eher meinen NDW-Teenie-Geschmack ansprach... da man in jenen Wochen neben Peter Schillings »Major Tom (Völlig losgelöst)« (die Klammer ist wichtig, da es auf seinem Album »Fehler im System« in ein Instrumentalstück übergeht, das dann nur »Major Tom« heißt - aber das nur am Rande) auch »Bruttosozialprodukt« von Geier Sturzflug gar nicht entgehen konnte, so oft, wie es im Radio gespielt wurde, verdoppelte ich folglich meine Schallplattensammlung durch den Kauf von »Heiße Zeiten«.

Aber: ist »Heiße Zeiten« noch NDW? Nachdem 1982 die Plattenfirmen alles en gros aufgekauft und auf NDW-Sampler gepackt hatten, was auch nur deutsch rülpste - wo dann zwangsläufig auch viel belangloses Tralala dabei war - war die Neue Deutsche Welle im darauffolgenden Jahr definitiv totgesurft. Weder Peter Schilling, geschweige denn Tauchen-Prokopetz (»Codo«) kamen noch in jenem flippig-fetzig-frechen und in seinem Ursprung letztlich punkigen Klanggewand daher, das die eigentliche NDW auszeichnete... genauso wenig Geier Sturzflug.

Tatsächlich gibt es hier Reggae und Ska auf die Ohren (wobei der Ska gegenüber dem Reggae sogar überwiegt), die NDW-typischen coolen Synthesizer-Mätzchen sucht man (abgesehen vielleicht von den - digitalen? - Steelpans (das Ding heißt Steelpan, nicht Steeldrum, jaha!) in »Besuchen Sie Europa« und »Karibische Gefühle«) vergebens. Das bei weitem dominierende Soloinstrument ist das Saxophon (sehr schön z. B. in den Strophen-Intros in »Karibische Gefühle«), Gitarren und Keyboards beschränken sich auf rhythmische Begleitung, gelegentlich (»Walkmanfan«, »Halligalli«) kommt auch eine reggaetypisch ölig-quietschende Nicht-Hammond-Orgel zum Einsatz. Apropos Orgel: von »Besuchen Sie Europa« müsste es auch eine etwas längere Version mit einem Orgelsolo in der Mitte geben, jedenfalls habe ich dergleichen mal bei einem Fernsehauftritt von Geier Sturzflug gehört...

Auch textlich hält man sich nicht bei den Kälte-Klischees der NDW auf, sondern kommentiert die Endphase des Kalten KriegsBesuchen Sie Europa«), betreibt Sozialkritik mit teilweise in Ruhrpott-Dialekt vorgetragenen Schilderungen des Arbeitermilieus (»Der moderne Mensch«, »Des kleinen Mannes Sonnenschein«, »Korken auf dem Wasser«) und macht sich über aktuelle Trends in der Unterhaltungselektronik lustig (»Walkmanfan«)

Ska und Reggae - das passte natürlich gerade ins musikalische Zeitkolorit des Frühlings und Sommers 1983, als Laid Back (»Sunshine Reggae«) und Madness ja auch mehrere Hits hatten. Die weitere Entwicklung von Geier Sturzflug habe ich nur aufgrund diverser 1983er und 1984er SinglesPure Lust am Leben«, »Einsamkeit«) nur vage auf dem Schirm (wie ich auch das 1981er Debüt-Album »Runtergekommen« bis heute nicht kenne - kennt das außerhalb des Ruhrgebiets überhaupt jemand?), es sieht so aus, als hätten sie sich mehr in Richtung konventionellem Rock entwickelt, wie sich das im letzten Titel von »Heiße Zeiten«, »Halt mich fest« schon abzeichnet.

Fazit: für einen Sommernachmittag am Baggerloch o.k., aber (ganz im Gegensatz zu Zara-Thustra - oder auch DuranDuran!) keine Musik, die ich mir ständig anhören könnte, melodisch und vor allem harmonisch passiert bei Ska, Reggae und Simpel-Deutschrock einfach zu wenig.


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