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Liquidationsdefensive schrieb am 8.11. 2003 um 17:56:40 Uhr über

Gedenktag

Nie habe ich so recht verstanden, warum die Toten in ihren Friedhofsgräbern ihre Ruhe wollten. Wer weiß das schon? Für manchen Lebenden ist Ruhe bedrückend; warum sollte er sie sich als Toter wünschen? Das ist doch eine Erfindung der Lebenden, die von kirchlichen und Friedhofsinstitutionen amtlich gemacht wurde. Man stellt sich vielleicht vor: Ein Toter kann nichts mehr hören - anscheinend jedenfalls, weil er nicht die üblichen Reaktionen auf Geräusche zeigt -, ebenso wie ein Tauber. Für den Tauben ist jedoch die Unfähigkeit zu hören grässlich und nicht gewollt. Wenn alle Toten nur Taube wären, wäre es mit dem Tod daher ein furchtbares Schicksal. Das darf nicht sein, weil dieses Schicksal irgendwann unvermeidlich ist. Was unvermeidlich ist, darf aber nicht schrecklich sein. Also sind die Toten nicht unfähig zu hören, sondern sie wollen einfach nichts mehr hören und ihre Ruhe haben. Weil die Toten aber außerdem sich nicht wehren können, da sie in dunkle Holzkisten eingesperrt sind, und die Lärmtreibenden auf ihrem Friedhof nicht einfach in Selbstjustiz verprügeln können, wurde die moralische Forderung erfunden, Ruhe auf dem Friedhof zu bewahren. Andererseits geht es aber vielleicht um die Ruhe der Lebenden an den Gräbern, die ungestört grübeln wollen. Aber auch das ist möglicherweise eine Einbildung. Der Tod ist schauderhaft und unabwendbar. In Wirklichkeit möchten vielleicht alle Federball auf dem Friedhof spielen statt zu grübeln. Dass diese Gedenktage für Tote im November sind, ist natürlich schlecht für das Spiel, meistens zu windig, dafür bleiben allerdings die Federbälle nicht so schnell in den kahlen Bäumen hängen. Vor dem Sonntagssauerbraten habe ich mit meiner Oma oft Halma oder ähnliches gespielt. Ein paar Tische mit Brettspielen auf dem Friedhof wären auch nicht schlecht, am Rand der Federballwiese, so dass man ein Match zwischendurch verfolgen kann, wenn der andere am Zug ist. Und die Gedenktage sollten in den Sommer verlegt werden. Wenn es dann noch eine kleine Cateringbude neben dem Krematorium gäbe, mit Sauerbraten zum Beispiel, dann könnte ich mir auch einen angemessenen Gedenktag für meine Oma einrichten. Und der Enkel, der mit seinem verstorbenen Großvater in einer Punkband gespielt hat, muss auf dem Friedhof auch seine angemessenen Entfaltungsmöglichkeiten zum Gedenken erhalten.


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