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Hütte schrieb am 27.2. 2000 um 21:36:48 Uhr über

Furz

Ich sitze allein in meinem Abteil im IC-803 und lasse Furze ab, die mich selbst erschrecken. Kriechende Düfte, farti dimissi nocturniter cervessam, taufe ich die kleinen Schwebegeister.

Es tut gut, sie abzulassen, auch ihr Duft ist mir nicht unbedingt unangenehm. Öffnete jedoch eine hübsche Blondgelockte mit der Frage ,,Ist hier noch frei?`` die Tür zu meinem Abteil und würde von der schwülen Luftmasse wieder in den Gang gedrückt, so wäre es Blut, das sich in meinem Kopf sammelte und Luft, nach der meine nervösen Lungen rängen. (Beide würden schließlich beim Verdauungsprozeß fehlen, und größeres Übel käme nicht nur über das Abteil und den von Zeit zu Zeit übellaunig kontrollierenden Schaffner, sondern über den gesamten Wagon und vielleicht auch den benachbarten Großraumwagen, in dessen hermetisches Klimasystem meine Winde... nicht auszudenken.)

Aber es kommt niemand und schon gar nicht ,,sie``. Es wäre aber denkbar, sie käme herein, würde mir ein offenes Lächeln schenken und erwiese sich im Laufe eines vorsichtig begonnenen Gesprächs als geruchstaub. Sie wäre die Richtige für meinen Darm und mich. (Die ,,Riechtige`` schreibe ich nicht, für solche Witze bin ich irgendwie zu befurzt.)

Aber niemand kommt vorbei, nur zum dritten Mal der idiotisch grinsende Verkäufer mit seinem scheppernden Freßwagen, riecht nix, kapiert nix. Beim vierten Mal werde ich ihm eine unauffällig vorbereitete Portion Kackwurst in den Warmhaltetopf legen, diese Sprache verstehst du, Bürschchen!

Genug davon! Eben drückt sich der Zug durch den dunkeln Tunnel vor Skatersreuth, da kommt mir eine alte Erinnerung.
Ich sehe das Wartezimmer meines Psychiaters Dr. Grün vor mir, die bedrückten Gesichter, die gespannte Atmosphäre unter den Patienten, als ich nach dem Mittagessen schwungvoll den Raum betrat. Ich war guter Dinge, denn im Laufe der Sitzungen mit Dr. Grün war mir klar geworden, warum mich meine Freundin verlassen, meine Familie verstoßen hatte und meine Nachbarn ausgewandert waren.
Es irritierte mich auch nicht, daß ich seit der ersten Sitzung Dr. Grüns Fragen über die Sprechanlage beantworten mußte und er mir den Philodendron auf die Rechnung gesetzt hatte. Ich war zufrieden, denn mir war bewußt geworden, wo der Kern meines Problems lag:
Es war das Furzen, das Blähen, El Fluido. Heiße es knattern oder flattern. Taxiere es als fein-säuerlich oder grob-kackig. Schnüffle die Anzahl der Biere heraus und odiere, ob Petersilie im Spiel war.
Wende es hin und wende es her: es geht um den Pups. Pubse nenne ich übrigens Gase, die Ehen intakt lassen, die weder Verkehrsunfälle verursachen noch Freundschaften zerstören.

Weil die deutsche Sprache mit ihrem knappen Dutzend einschlägigen Wörtern meiner Welt Beschränkung auferlegt, habe ich mich ins Wissenschaftliche begeben und folgende Systematik entworfen:
Es gibt Buchstaben P, F, FF, ÜFF, VFFF - Pups, Furz, Faulfurz, übler Faulfurz, vernichtender finaler Faulfurz.
Es gibt Zahlen von 1-10 nach Intensität und Masse des exflatierten Gases und römische Ziffern, die den wichtigsten qualitativen Parameter des Furzes, gS, die gerochene Säure, benennen: Die Skala geht von I, basisch-trocken bis VII tropisch-faulig-schwer.

So sitze ich in Zeiten starker Menschenverachtung in öffentlichen, geschlossenen Räumen und lasse ganz bewußt einen ÜFF-7-III. Oder ich befinde mich in versöhnlicher Stimmung und blase einen harmlosen F-10-II unter meine Mitmenschen, um daran zu erinnern, wie schön die Welt eigentlich ist.

Es gibt eine befriedigende Methode, den ÜFF-9-V in Zugabteilen mit defekten Schiebefenstern zur Geltung zu bringen:
Wenn man aus irgendeinem Grunde eine tiefe Abneigung gegen sechs eng beieinander sitzende Reisende in einem Nichtraucherabteil empfindet, betritt man mit freundlicher Selbstverständlichkeit das volle Abteil, entschuldigt sich höflich, man glaube in den Koffergittern eine kleine Tüte liegengelassen zu haben, findet sie nicht, sie könnte auch unter den Sitzen liegen. Daraufhin beugt sich alles zu Boden, um unter den Sitzen nachzuschauen, und das ist der Augenblick, in dem man mit der linken Hand seine linke Pobacke leicht nach außen schiebt und einem warmen, satten, lautlosen ÜFF-9-V das Leben schenkt.
Er wird sich einfinden in dem Abteil, er wird, wenn man das Abteil gerade unter den bedauernden Blicken der Fahrgäste verlassen hat in die schrille Fanfare seiner Existenz stoßen. Er wird Ekel und Entsetzen, hysterisches Lachen und Krämpfe auslösen. Bei dem gleichzeitigen Fluchtversuch aller wird ein beschämender Egoismus der Stärkeren zu Verletzungen der Schwächeren führen, und die wahre Natur des Menschen wird für den kurzen Augenblick einer heftigen Explosion aus ihrer Verkleidung treten und sichtbar werden.

Danach wird Ruhe eintreten. Zerknirschung, Scham. Ehen werden auseinander gehen, Testamente werden geändert werden, und Klarheit wird wieder herrschen zwischen jenen, die glaubten, Freunde zu sein.

Und wer, meinst Du wohl, betrachtet all das, ein wenig wehmütig vom Bahnsteig aus, denn der Zug hat mittlerweile gehalten?

Nachdenklich schlendere ich den Weg nach Hause, der untergehenden Sonne entgegen, in stillen Gedanken über die Zwietracht, die ein Flüchtiges meiner selbst unter eigentlich Unschuldige gesät hat.





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