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Christen regen mich im allgemeinen nicht besonders auf. Manchmal im Gegenteil. Wenn man es nämlich viel mit Ökonomanen, Kommerzfetischisten und Profitdogmatikern zu tun hat, im Prinzip einfach alles unreflektierte Geldmachtgierige und Vulgäregoisten, beginnt man insgeheim manchmal mit einem urchristlichen Radikalismus zu sympathisieren, der kein Pardon kennt, wenn es um Liebe und Armut als ihrer Voraussetzung geht. Das ist allerdings Theorie, in diesem Sinne kenne ich keinen Christen persönlich. Aber ich kenne einen Mann, knapp über 60, Unternehmer und fromm, und zwar, wie ich bisher meinte, auf irgendwie lächerliche Weise, die sich in obligatorischen, stillen, etwa drei Sekunden dauernden Tischgebeten vor jeder Mahlzeit äußert und einer Wohnung, die von innen aussieht wie die Wieskirche, hier ein Heiligenbild, dort ein Kreuz, auf jedem Tischchen eine Christusfigur und alle Nase lang Maria mit dem Kinde. Auweia, dachte ich beim ersten und einzigen Besuch in seiner Wohnung, manche ältere Leute sind halt naiv fromm, und man dreht sich um und hakt es schnell ab, weil der Umgang ansonsten ganz pragmatisch profan und normal ist. Aber mit der Naivität war es ein Irrtum, wie sich kürzlich herausstellte, als er die Fundamente seines Glaubens preisgab. Die lagen nämlich im genauesten Wortlaut der Bibel, zu dem es keine Alternative gäbe, und von dem abzuweichen die sichere Verderbnis bedeuten würde. Ganz gleich, was für ein anständiger Mensch man wäre und wie sehr man sich bemühe, das sei alles völlig nutzlos, wenn man nicht wörtlich an die Schrift glaube, in der alles erschöpfend gesagt sei, und ende mit Gewissheit im Fegefeuer. Darüber war auch nicht zu diskutieren. Ich meine, der Scheiss ist ja nicht lustig, die Frage, Arschloch oder nicht Arschloch kann ja nicht vom Lesen eines Buches abhängig sein und von sonst nichts, und es ist ja Kinderfolter, wenn man ihnen erzählt, »pass auf, wenn Du das hier nicht liest und dran glaubst, und zwar Wort für Wort und nicht nur im Prinzip, dann gehst Du ab in die Hölle« und ihnen dann vielleicht die fürchterlichsten Passagen aus der Apokalypse vorliest. Jedenfalls ist da doch ein gewisses Misstrauen entstanden, wenn man so ganz normal miteinander redet, weil ich ja jetzt als irgendwie Bibelwortlautungläubiger ein Arschloch und Verdammter der Hölle bin, was er zwar nicht sagt und wahrscheinlich auch nicht denkt, aber was doch mit zwingender Logik aus seinen Überzeugungen folgt. Also diese christliche Radikalität des Wortes stößt mich dann doch eher ab, zumal wenn sie im Widerspruch steht zur genannten urchristlichen Konsequenz, die ihn bewegen müsste, sein Unternehmertum und seinen Wohlstand aufzugeben, für den er dann doch gerne den einen oder anderen Lug und Trug zum eigenen Vorteil in Anspruch nimmt.
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