Erich Fried: Gedichte und Kurzprosa
Die Maßnahmen
Die Faulen werden geschlachtet
die Welt wird fleißig
Die Häßlichen werden geschlachtet
die Welt wird schön
Die Narren werden geschlachtet
die Welt wird weise
Die Kranken werden geschlachtet
die Welt wird gesund
Die Traurigen werden geschlachtet
die Welt wird lustig
Die Alten werden geschlachtet
die Welt wird jung
Die Fremden werden geschlachtet
die Welt wird freundlich
Die Bösen werden geschlachtet
die Welt wird gut
Aus: Erich Fried: Gedichte. Hamburg: Claassen 1958; hier mit freundlicher Genehmigung des Verlages Klaus Wagenbach wiedergegeben nach: Erich Fried: Gesammelte Werke. Hg. von Volker Kaukoreit und Klaus Wagenbach. Bd. 1. Berlin: Wagenbach 1993, S. 566.
Humorlos
Die Jungen
werfen
zum Spaß
mit Steinen
nach Fröschen
Die Frösche
sterben
im Ernst
In: Erich Fried: Anfechtungen. Berlin: Wagenbach 1967; hier mit freundlicher Genehmigung des Verlages Klaus Wagenbach wiedergegeben nach: Erich Fried: Gesammelte Werke. Hg. von Volker Kaukoreit und Klaus Wagenbach. Bd. 1, Berlin: Wagenbach 1993, S. 427.
Zwiefache poetische Sendung
Der Hauptberuf der Schnabelsau
ist daß sie reimt auf Kabeljau
Doch wenn sie ihren Zensch entschleimt
bleibt selbst der Mensch nicht ungereimt
So halten Dichter Nabelschau
in unserm Kain- und Abelgau
Den Menschen wie den Kabeljäuen
obliegts dann sich am Reim zu freuen
Aus: Erich Fried: Die bunten Getüme. Berlin: Wagenbach 1977; hier mit freundlicher Genehmigung des Verlages Klaus Wagenbach wiedergegeben nach: Erich Fried: Gesammelte Werke. Hg. von Volker Kaukoreit und Klaus Wagenbach. Bd. 2. Berlin: Wagenbach 1993, S. 391.
Was es ist
Es ist Unsinn
sagt die Vernunft
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Es ist Unglück
sagt die Berechnung
Es ist nichts als Schmerz
sagt die Angst
Es ist aussichtslos
sagt die Einsicht
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Es ist lächerlich
sagt der Stolz
Es ist leichtsinnig
sagt die Vorsicht
Es ist unmöglich
sagt die Erfahrung
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Aus: Erich Fried: Es ist was es ist. Berlin: Wagenbach 1983; hier mit freundlicher Genehmigung des Verlages Klaus Wagenbach wiedergegeben nach: Erich Fried: Gesammelte Werke. Hg. von Volker Kaukoreit und Klaus Wagenbach. Bd. 3. Berlin: Wagenbach 1993, S. 35.
Kleintierjagd auf dem Nil
Ein Pharao war - wie jeder heilige König - schon von Amts wegen ein Held. Dazu genügte es nicht, vor versammeltem Volke den Fuß auf den Nacken gefangener feindlicher Heerführer oder Könige zu setzen, die man eigens bis zu diesem Augenblick am Leben erhalten hatte. Nein, dazu gehörte auch die Jagd auf allerlei Bestien, vom nubischen Löwen bis hin zum Nilkrokodil.
Auf Grabbildern in Pyramiden und Höhlen im Tal der Könige ist noch mehr als ein Pharao zu sehen, wie er vom Boot aus, am Rande der Papyrusdickichte, beobachtet von aufmerksamen Fischen, seinen langen Speer einem Krokodil zwischen die furchtbaren Zähne tief in den Rachen stößt. Das kann gar nicht so ungefährlich gewesen sein.
Aber obwohl die Wandbilder ja eigentlich die Aufgabe hatten, die Heldentaten das Pharao zu rühmen, kam ihnen ihre eigene kultisch vorgeschriebene Art, dem Pharao zu huldigen, in die Quere. Der Herrscher mußte immer viel größer dargestellt werden als alle Menschen seiner Umgebung, deren Größe übrigens je nach Rang abgestuft war, von Sklaven und Lasttieren ganz zu schweigen. Bei der Abbildung der Krokodiljagd nun stellten die gehorsamen Künstler, wie es ihre Pflicht und Schuldigkeit war, den Pharao ungefähr zehn- bis zwanzigmal so groß dar wie das Krokodil.
Der unkundige Betrachter kann sich daher nur schwer des Mißverständnisses erwehren, der heilige König habe sich auf der Eidechsenjagd befunden, was natürlich den unmittelbaren Eindruck seiner Heldenhaftigkeit ein wenig verringert.
Aus: Erich Fried: Das Unmaß aller Dinge. Berlin: Wagenbach 1982; hier mit freundlicher Genehmigung des Verlages Klaus Wagenbach wiedergegeben nach: Erich Fried: Gesammelte Werke. Hg. von Volker Kaukoreit und Klaus Wagenbach. Bd. 4. Berlin: Wagenbach 1993, S. 471f.
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