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Die Leiche schrieb am 14.6. 2012 um 17:56:04 Uhr über

Freitagnachmittagsloch

Achim Rodach stand am Fenster und sah hinaus. Der Regen hatte aufgehört, und die Sonne schien bereits wieder durch ein paar Wolkenlücken. Seufzend sah er auf seinen Schreibtisch. Der Haufen von unerledigten Vorgängen war seit heute morgen zwar deutlich geschrumpft - aber die Luft war raus. Gut die Hälfte der Kollegen hatten die Gleitzeitregelung genutzt, und war schon nicht mehr im Dienst. Rodach dagegen war in den sommerlich warmen Tagen Ende April bis Mitte Mai viel zu großzügig mit seinem Zeitkonto umgegangen, und mußte nun aufholen. Das Gespräch hierüber mit seinem Abteilungsleiter war zwar nicht direkt unangenehm gewesen, aber er hatte das deutliche Gefühl, daß etwas mehr Diensteifer in den nächsten Wochen angesagt sein würde. Also setzte er sich wieder an seinen Schreibtisch und nahm sich die nächste Akte vor. Akte um Akte, Vorgang um Vorgang - so würde es gehen müssen bis 16.30, dem offiziellen Dienstschluß. Dann würde er direkt nachhause fahren müssen, wo seine Frau mit seinen beiden Töchtern auf ihn warten würden. Ein Abstecher zum Baggersee käme nicht infrage. Statt dessen würde er mit seiner Familie einen kleinen Spaziergang in dem Reihenhausviertel zu unternehmen haben, bis zu der Parkanlage mit dem Spielplatz. Seine Töchter würden dort herumtoben, und seine Frau wieder davon zu jammern beginnen, daß sie sich einerseits über- und andererseits unterfordert vorkomme durch ihre Verantwortung und Inanspruchnahme als Mutter. Rodach würde andächtig zuzuhören haben, Verständnis zeigen, sie tröstend in den Arm nehmen und vielleicht ein paar Tränchen trocknen müssen. Das schlimmste jedoch würde sein, daß er seiner Frau zusagen mußte, sich am Samstag um die Töchter zu kümmern, damit Frau Rodach »mal raus« käme. Auch am Samstag würde er nicht zum See kommen. Erinnerungen an nackte Gliedmaßen und erogene Zonen huschten vor seinem geistigen Auge vorbei. Er lehnte sich leicht im Schreibtischsessel zurück, und fühlte schmerzlich die Entbehrungen, litt sozusagen schon im Voraus die Qualen eines unbefriedigten Wochenendes, dessen Krönung der samstagabendliche eheliche Beischlaf sein würde, nach dessen Vollzug er dann wieder das Lamento seiner Frau zu ertragen verurteilt war: höchste Zeit wäre es, daß sie wieder in ihren Beruf zurückkäme - in der Reihenhaussiedlung den ganzen Tag mit den Kleinen, da würde sie verrückt. Armin Rodach sah aus dem Fenster. Keine zehn Minuten waren vergangen, seit er dort gestanden hatte. Die Sonne war wieder verschwunden, und es begann leise zu nieseln. Es würde sowieso nichts los sein am See, bei diesem Scheisswetter.


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