Schömberg hatte am Fenster gestanden. Sein Schreibtisch war aufgeräumt, alles erledigt, was für diese Woche auf der Agenda gestanden hatte. Es war sowieso die ruhige Zeit - im Sommer, in der Ferienzeit, ging auch der Pulsschlag der Bank etwas langsamer als sonst. Draussen regnete es schon wieder. Schömberg beschloß sehr spontan, sein Überstundenkonto etwas abzubauen, mal tief Luft zu schöpfen, »blau zu machen«. 'Wenkmann, sein Chef, war heute sowieso in Berlin, würde ihn nicht mehr benötigen. Also klappte Schömberg seinen Aktenkoffer zu, nickte seinem Stellvertreter Berresheim einen Abschiedsgruß zu. Der war gerade hektisch am telefonieren, nickte nur kurz zurück. Eine kleine halbe Stunde im Auto, und Schömberg war zuhause, und der Wetterbericht sagte ein Nachlassen der Niederschläge am Nachmittag voraus.
Er legte seinen Bankerdress ab, schlüpfte in jeans und einen Angorapulli wegen der Schafskälte. Es regnete immer noch. Den Garten konnte man wohl vergessen - obschon Schömberg genau darauf gehofft hatte. Ein bischen Unkraut jäten, ein paar Büsche schneiden, so ein bischen richtig im Dreck wühlen - aber es regnete eben immer noch unvermindert weiter. Schömberg schlich durch das Einfamilienhaus. Sein Sohn Lars saß im Bademantel am Computer. Er saß immer am Computer, wenn Schömberg in sein Zimmer kam, und immer waren es Seiten über Biologie, Chemie und die Wikipedia, die er am Bildschirm sah. Schömberg war überzeugt, daß das gefaket war. Der Junge hörte die Schritte auf der Treppe, klickte irgendwohin, und präsentierte einen Bildschirm, der nach strebsamem Gymnasiasten aussah. Dafür waren aber seine Noten viel zu lausig, als daß er sich stundenlang jeden Tag durch die Wikipedia geklickt hätte. Garantiert hatte er sich wo ganz anders rumgetrieben. Ob Schömberg mal den Computer seines Sohnes Lars checken sollte ? Eigentlich wäre es seine Aufgabe als »Sorgeverpflichteter« wie das heute genannt wurde - er wußte genau, Lars war ihm über, am Computer, er würde nichts finden ausser ein paar unverfänglichen oben-ohne-Bildchen, wie sie auch an der Innenseite seiner Schranktür klebten. Da hätte ja auch niemand was dagegen gehabt, wenn sie aussen geklebt hätten - aber Schömbergs Tochter Bettina mit ihren 14 Jahren war eben unglaublich zickig in dieser Hinsicht. Jetzt war sie in der Reitstunde - gottseidank, dachte Schömberg. Er klopfte seinem Sohn väterlich auf die Schulter: »Arbeite nicht so viel!«. Sein Sohn grinste, und Schömberg ging dann wieder hinunter. Er braute sich einen löslichen Cappuchino. Er hätte sich auch einen Richtigen machen können. Der sündhaft teure Vollautomat stand vor ihm und sah ihn vorwurfsvoll an. Aber zu dem Hantieren mit dem Milchkännchen aus poliertem Edelstahl war Schömberg zu faul. Ausserdem würde er Spritzer machen und kleckern, und Frau Schömberg würde ihn beim Abendbrot wieder daran erinnern, daß auch Männer mal ein feuchtes Tuch in die Hand nehmen können. »Ein feuchtes Tuch« - es regnete immer noch, und dann auch noch ein feuchtes Tuch in die Hand nehmen ! Schömberg lies sich in seiner Sofaecke nieder, schlürfte seinen Kaffee. Er hatte gegen löslichen Kaffee überhaupt nichts einzuwenden, er schmeckte ihm. Er blätterte lustlos im GEO-Heft herum. Gerne hätte er jetzt die Beine so elegant angezogen und unter die Lama-Decke geschoben, wie es seine Frau immer tat in ihrer eigenen Sofaecke. Aber dafür war Schömberg zu ungelenkig, zu ungeschickt. Die Artikel im GEO, die in interessierten, hatte er schon lange gelesen. Er las also einen Artikel, der ihn nicht interessierte, und wurde der unglaublichen, lähmenden Langeweile gewahr, die ihn an diesem Freitagnachmittag erfasste. Er seufzte und griff zur Fernbedienung. Nicht weil er Lust auf Fernsehn gehabt hätte, sondern einfach, weil die Fernbedienung griffbereit vor ihm lag.
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