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voice recorder schrieb am 22.1. 2003 um 17:17:08 Uhr über

Flugblätter

Experimente in Europa I976 bz's I977

Ich will hier von einigen Experimenten berichten, die . ch 'n letzter Zeit in mehreren europäischen Ländern gemacht 1 hab 1 e. Uns stand wenig Zeit zur Verfügung: zwei Wochen in Portugal, eine Woche in Paris, zwei Wochen in Stockholm und fünf Tage in Godrano, einem kleinen Dorf bei Palermo.
Ich demonstrierte die verschiedenen Techniken, konnte sie aber nicht vertiefen. Da die Zeit knapp bemessen war, konnten keine Stücke geschrieben, sondern nur Handlungsgerüste entwickelt werden.

Wir gingen folgendermaßen vor: Zwei Tage dienten der Gruppenintegration, mit Übungen und Spielen, dazu Diskussionen über die politische und wirtschaftliche Situation in Lateinamerika und über unser Volkstheater. Diese zwei Vorbereitungstage waren nötig, weil es sich, mit Ausnahme von Godrano, um sehr heterogene Gruppen handelte. Selbst bei Gruppen mit einheitlicher Zusammensetzung sind diese Vorbereitungstage unerläßlich, um sich gegenseitig kennen und die Möglichkeiten der 7-usammenarbeit hinreichend einschätzen zu lernen, aber auch um gemeinsarn an sich, an der eigenen körperlichen Ausdruckskraft zu arbeiten. Wir machten eine ganze Anzahl von Übungen und Spielen.

Als wir dann mit den Zuschauern arbeiteten, machten wir mit ihnen die gleichen Übungen, um ihre Hemmungen abzubauen und sie »aufZUWärmen.«

In den nächsten beiden Tagen entwickelten wir Szenen Unsichtbaren Theaters und Forurntheater-Szenen, die Spiele und Übungen gingen weiter. Am fünften Tag führten wir die »unsichtbaren« Szenen auf, am sechsten die Forurntheater-Szenen. Um beim Forumtheater direkten Kontakt zu den Zuschauern herzustellen, gingen wir ähnlich vor: Übungen und Spiele zur Minderung körperlicher Hemmun en, Statuentheater und Fo9

rumtheater. Die Themen werden stets von der Gruppe oder von den Zuschauern selbst vorgeschlagen. Wenn man ein Theater der Befreiung praktizieren will, ist es unabdingbar, daß die Betroffenen ihre Themen benennen.



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Statuentheater

Die Technik ist einfach: Die mitwirkenden Zuschauer werden aufgefordert, eine Statuengruppe zu bilden, die ihre kollektive Vorstellung von Unterdrückung ins Bild übersetzt. In Frankr@ic'h war es die Arbeitslosigkeit, in Portugal die Familie, in Schweden die sexuelle Unterdrückung von Mann und Frau.
jeder Zuschauer bekam Gelegenheit, seine Vorstellung bildlich auszudr-ücken. Gemeinsam wurden die Bilder so lange modifiziert, bis alle ein Realbild akzeptierten.
Dann wurde gemeinsam das Idealbild entwickelt, aus dem die Unterdrückung verschwunden ist: das Bild einer noch zu stiftenden Gesellschaftsordnung, in der die gegenwärtigen Probleme
überwunden sind.
Dann kehrt man zurück zum Realbild. jeder darf es so verändern, daß sichtbar wird, wie man, ausgehend von unserer konkreten Wirklichkeit, die Wunsch-Realität erschaffen kann. (Diese Phase szenischer Auseinandersetzung zeigt das übergangsbild).
Das alles soll in raschem Tempo vor sich gehen, damit die Mitwirkenden nicht erst in Worten denken und diese dann in Bilder übersetzen - sie sollen vielmehr spontan in Bildern denken. Nachdem die »Bildhauer« ihre Vorstellung sichtbar gemacht haben, werden die »Statuen« aufgefordert, die sie unterdrückende Realität selbst zu verändern, und zwar in Zeitlupe. Sie sollen sie ganz langsam oder stufenweise verändern. jeder der »Darsteller« soll als die Person agieren, die er verkörpert, und nicht aus seiner

individuellen Vorstellung heraus.
In Frankreich wurde das Thema Arbez'tslosigkeit vorgeschlagen. Alle Teilnehmer stellten annähernd das gleiche Bild dar: Menschen, die vor einem Schalter Schlange stehen; sie hatten alle traurige Gesichter. In Dänemark war es ein sehr ähnliches Bild, nur hatten die Arbeitslosen einen fröhlichen Gesichtsausdruck und verteilten Flugblätter: Die Sozialversicherung in Dänemark ist besser als in Frankreich, Arbeitslose erhalten bis zu go % ihres Lohns. In Portugal war es die gleiche Schlange, das gleiche Fräulein vom Arbeitsamt, daneben noch ein Gruppenbild, eine Pyramide aus drei Männern, die drei Frauen auf ihren Armen tragen, die ihrerseits einen Brotlaib hochhalten. Dieser Brotlaib wird einem Polizisten überreicht, der ihn wiederum einem untätig im Sessel sitzenden Mann anbietet. Der Mann bedient sich und

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