Es war einmal ein schönes Mädchen, dem waren Vater und Mutter gestorben. »Flora,« hatte die Mutter auf dem Totenbett noch gesagt – denn so hieß das Kind -: »Geh in die weite Welt und suche dir einen Mann!«
Also packte sie ihre Siebensachen und wanderte hinaus in die Fremde.
Nachdem sie eine Weile gegangen war, kam sie an einen Bauernhof. Es wurde schon Nacht und sie war müde, also beschloß sie, dort Unterkunft zu suchen. Die Bauersleute waren herzensgut und ließen es ihr an nichts mangeln. Doch vor allem zog der Sohn des Hauses ihre Aufmerksamkeit auf sich, denn er war hübsch von Angesicht und hatte ein fröhliches Wesen. »Das wäre ein brauchbarer Mann für mich.« dachte das Mädchen. »Es würde mir schon gefallen, Herrin über ein so großes Gehöft zu sein und durch redliche Arbeit Speicher und Scheune wohl zu füllen.« Doch der Bauerssohn war auch sehr unbekümmert und hatte noch nicht viel gesehen, und sooft sie auch versuchte, mit ihm über die weite Welt zu reden, die sie bereisen wollte, machte er ein paar Scherze und meinte, sie solle doch bei ihm auf dem Hofe bleiben, anstatt sich auf der Straße die Schuhe abzulaufen. Da dachte sie: »Ich brauche einen, der mehr vom Leben weiß.«
Deshalb blieb sie nicht, sondern brach am nächsten Morgen wieder auf. Nach einiger Zeit traf sie auf einen vom fahrenden Volk, der am Straßenrand saß und seine Wegzehrung verspeiste. Sie setzte sich zu ihm, aß von ihrem Mundvorrat und fragte ihn, wie es denn so in der weiten Welt wäre. »Es gibt immer Neues zu sehen.« sagte der Landstreicher und lächelte sie strahlend an »Komm mit mir, dann zeige ich dir alles.«
Also gingen sie gemeinsam. Von Stadt zu Stadt führte er sie und von Land zu Land. Er zeigte ihr Kirchen und Paläste, stolze Bürgerhäuser, ausgelassene Jahrmärkte und Messen, große Schiffe, die zu fernen Kontinenten fuhren, tiefe Wälder, Wasserfälle, bemalte Höhlen und welche mit funkelnden Kristallen an der Decke, Berge, Felder und arbeitende Menschen. Er lehrte sie, Räubern auszuweichen, im Wald Fallen zu stellen und in der Stadt Kunststückchen vorzuführen, überall einen Schlafplatz zu finden und fremde Sprachen zu verstehen. Lange Zeit wanderten sie, machten nur selten Halt und lebten von dem, was ihnen das Glück, der Zufall oder die Freigiebigkeit Anderer bescherte. »Das wäre ein brauchbarer Mann für mich.« dachte das Mädchen manchmal, wenn sie des Nachts am Feuer saßen und auf seinem Gesicht das Gold der Flammen lag. »Es würde mir schon gefallen, für immer die Welt zu bereisen, jeden Tag Wunderbares zu sehen und mein Lebtag frei zu sein.« Doch dann wünschte sie sich zuweilen wieder, irgendwo Rast zu machen, ein kleines Haus zu haben, mit einem vertrauten Bett, Schrank und Tisch und einem Fenster, von dem aus sie morgens sonnenbeschienene, taubeglänzte Wiesen sehen könnte. Vor allem in langen verregneten Herbstnächten, wenn sie fror und sich klein und schutzlos fühlte, da dachte sie: »Ich brauche einen, der für mich sorgen kann.«
Und so kam es, daß Flora, als sie mal wieder durch die Hauptstadt wanderten, dort zurückblieb und den Landstreicher allein weiterziehen ließ. Es war nämlich so, daß der junge König des Landes eine Frau suchte.
Im ganzen Land waren schon alle Grafen-, Herzogen- und Baronentöchter in heller Aufregung und ließen sich Putz und Kleider für den großen Maskenball anfertigen, der in wenigen Tagen im Palast stattfinden sollte. »Ach, da möchtest du schon gern mittun!« dachte Flora wann immer sie Bedienstete mit großen Paketen aus den Schneiderstuben in die Herrenhäuser eilen sah und die Vorbereitungen auf dem Schloß und drumherum beobachtete.
Doch bis zum Abend des großen Balles wußte sie nicht, wie das anzufangen wäre. Da saß sie nun in einem Winkel, ließ sich die Abendsonne ins Gesicht scheinen und malte sich aus, in welchem Kostüm sie wohl auf einem solchen Ball erscheinen würde. Und wie sie so saß, da erblickte sie auf dem Pflaster vor sich eine schneeweiße Taube, die etwas Blinkendes im Schnabel trug und es schon hinterschlucken wollte, als es plötzlich herausflog und nur eine Armlänge vor Flora landete. Sie sah, daß es eine wunderschöne Libelle war, so blau wie der Himmel in den Bergen, die eine winzige goldene Krone auf dem Kopfe trug. Nun waren aber durch den Taubenschnabel die Flügel des zarten Geschöpfes zerdrückt, sodaß sie sich nicht mehr so recht erheben konnte und kläglich über dem Boden hintaumelte.
Schnell streckte Flora die Hand aus und barg die Libelle zwischen ihren Fingern. Doch da hub die Taube an zu reden »Gib sie heraus, gutes Kind, gib sie heraus! Ich habe ein Nest mit fünf Kinderchen, die leiden großen Hunger.«
Die Libelle aber flehte: »Schütze mich, liebes Mädchen, schütze mich! Ich bin die Teichjungfer, die Königin des Wassers, und habe ein großes Reich zu regieren.«
Da war guter Rat teuer. Nach einigem Hin- und Hersinnen rief das Mädchen erfreut: »Ich habe etwas anderes zu essen für dich, liebe Taube!« und holte ihr letztes Stück Brot aus dem Beutel. Dankbar pickte der Vogel große Krumen aus dem Brot und brachte sie zu seinen Jungen. Inzwischen glättete Flora der Teichjungfer die Flügel, damit sie wieder lustig durch die Luft tanzen konnte. »Hab Dank, Flora!« sagten die Taube und die Libelle daraufhin. »Nimm von mir meine Krone! Sie vermag dich in jede Gestalt zu verwandeln und dir alle Schönheit der Welt zu schenken.« meinte die Libelle. »Und nimm von mir eine Feder, sie vermag die Wahrheit zu erkennen, wo gelogen wird und Frieden zu stiften, wo gestritten wird.« meinte die Taube.
Das waren freilich kostbare Geschenke für die junge Frau. Sie nahm die Krone und die Feder, griff ihr Bündel und begab sich an eine Stelle hinter dem Schloß, wo sie niemand sehen konnte. Dort holte sie die Krone hervor und wünschte sich, so schön zu sein, wie die Teichjungfer selbst. Im nächsten Augenblick hatte sie ein kostbares Kleid an, so blau wie der Himmel in den Bergen, und zarte Flügel aus schillerndem Stoff waren an ihrem Rücken befestigt. In der Hand hielt sie eine silberne Maske mit goldenen Fühlern.
Schnell lief sie zum Schloß und in den großen Ballsaal. Da waren schon die Adligen und die reichen Bürger versammelt, und viele, die aus fernen Ländern angereist waren. Man konnte Blumenfeen sehen, griechische Göttinnen und Bauchtänzerinnen, Magier, Pferdemenschen und Römer. Am meisten Aufsehen erregte jedoch eine Leopardenfrau, die ganz in das enge Katzenfell gehüllt war und sogar spitze Ohren und einen Schwanz hatte. Doch auch Floras Kostüm fand großen Beifall, jedermann bewunderte ihre Anmut und die leuchtenden Farben, die sie umgaben.
Nach einer Weile wurde es plötzlich still im Saal und alles schaute zu einer Tür, durch die ein junger Mann geschritten kam. Es war der König. . »Das wäre ein brauchbarer Mann für mich.« dachte Flora. Sie sah, daß er schlank war und ein glattes Gesicht umrahmt von goldenen Locken hatte. Doch dann schien es ihr, daß sein Mund etwas zu weich und seine Hände etwas zu rosig waren. »Was soll's?« sagte sie sich, »Er ist hübsch und hat bestimmt auch ein gutes Herz.« Also verneigte sie sich wie jeder andere und lächelte, als er in ihre Richtung blickte.
Dann begann man, zum Tanz aufzuspielen. Flora hatte früher gern zur Fiedel getanzt, wenn Dorffest oder eine Hochzeit war, aber die Hopser und Polkas, die sie kannte, gab es nicht bei Hofe. Also stellte sie sich neben die Tanzfläche und schaute den Damen und Herren auf die Füße, sodaß sie bald schon genau so zierlich schreiten, knicksen und die Hände halten konnte wie sie. Immer und immer wieder wurde sie von verschiedenen Herren aufgefordert und nur die Leopardenfrau hatte mehr Tänzer.
Endlich kam auch der Prinz zu ihr und bat um einen Tanz, da wußte sie vor Freude gar nicht wohin. Lange tanzten sie, aber Flora merkte, daß seine Blicke immer wieder begehrlich zu der Leopardenfrau hinüber glitten. Endlich ließ er Flora stehen und ging zu der anderen. Das schöne Mädchen wurde traurig und setzte sich an einen der Tische an den Wänden des Ballsaales. Nach einer Weile trat ein Mann mit dunklem Haar und Bart zu ihr. Es war des Königs oberster General. Auch er bat sie um einen Tanz, aber obwohl er besser tanzte als manch anderer, wurde sie nicht wieder so recht fröhlich. Und als dann gar der König laut die Verlobung mit der Leopardendame bekannt gab, kannte ihr Schwermut keine Grenzen mehr. Da dachte sie: »Ich brauche einen, der sich nicht von wohlfeilen Dirnen verführen läßt.«
Betrübt schlich sie zu ihrem Bündel im Schloßpark und verwandelte sich zurück. Am nächsten Tag brach sie nun doch wieder auf und wanderte weiter durch das Land, doch das Glück war ihr nicht hold. Sie hatte nichts zu Essen mehr und kein Geld für eine Herberge. Als sie drei Tage gegangen war kam sie schließlich an eine Höhle, vor der ein Feuer brannte, daneben ein Zauberer in schwarzen Gewändern saß. Zaghaft näherte sie sich ihm und bat um etwas Speise und Trank. Dem Magier gefiel das hübsche Mädchen und er überredete sie, bei ihm zu bleiben und seine Gehilfin zu werden. Da mußte sie nun die Hausarbeit besorgen und das Essen kochen, aber er war gut zu ihr und lehrte sie, Heilkräuter zu sammeln, Sternkarten zu lesen und Latein zu sprechen. Bald schnitt sie sich ihr langes Haar ab, bis auf eine Strähne an der Stirn, in deren Ende sie ihre Taubenfeder flocht, nähte sich grünschwarze Röcke und bekam vom Zauberer alten Silberschmuck geschenkt. Das Leben als Hexe behagte ihr und sie dachte: »Das wäre ein brauchbarer Mann für mich.« Doch der Magier las mehr in seinen Büchern, als daß er mit ihr redete und bald schien es ihr, daß er auch einige Stücke der schwarzen Magie übte, bei welchen ihr nicht so recht wohl war. Und als der Winter kam und länger und härter wurde als alle Winter zuvor, da war ihr manchmal so eng ums Herz und sie dachte: »Ich brauche einen, der mich herzt und küßt und der Gut von Böse unterscheiden kann.«
Und so ging es im nächsten Frühling wieder los, hinaus auf die Landstraße und immer der Nase nach. Nach einer Weile erfuhr sie in einer Stadt, daß Krieg ausgebrochen war zwischen diesem Königreich und einem anderen. Das war umso schlimmer, als daß ausgerechnet bei dieser Stadt die gegnerischen Truppen die Grenze überschreiten wollten und gerade noch von der königlichen Armee zurückgehalten wurden. Flora konnte die Zelte des Heerlagers sehen, die auf einem Feld vor der Stadtmauer standen. Und sie bekam mit, wie die Stadtbewohner Nahrung und Kleidung an die Soldaten liefern mußten, damit diese kämpfen konnten. Obwohl es gefährlich war, wurde sie neugierig auf das Soldatenleben und wollte sich gern einmal im Heerlager umsehen. Also suchte sie eine unbeobachtete Stelle, zog das Krönlein der Teichjungfer hervor und verwandelte sich in einen schmucken jungen Soldaten.
Dann lief sie zu den Zelten, besah sich die Pferde und Kanonen, übte mit den anderen Soldaten schießen und laufen und abends aß sie mit ihnen aus einem Topf und spielte hernach noch auf der Wache Karten mit ihnen. Und das konnte sie, denn der Landstreicher hatte ihr alle Kniffe beigebracht, die es gab. Sie gewann sieben Mal hintereinander und als sie noch anfing, Zauberkunststückchen herzuzeigen, machte das die Runde und immer mehr Soldaten liefen hinzu, um zu schauen.
Nun war es aber streng verboten, auf Wache Karten zu spielen und bald kamen Zweie und führten sie ab. Dabei hielten sie ihre Hände fest, sodaß sie nicht an das Krönchen fassen und sich verwandeln konnte. Zitternd vor Sorge wurde sie in das Zelt des Heerführers gebracht. Es war der oberste General des Königs.
Er stand mit zornig blitzenden Augen vor ihr und hielt eine feurige Rede über Verantwortung und Pflichterfüllung, und daß sie von heute an eine Woche lang die Latrinen putzen müsse. Als er geendet hatte, sah er ihr nochmal ins Gesicht und fragte – inzwischen etwas milder -, ob sie denn eine Schwester habe, die auf dem Maskenball des Königs als Libelle erschienen sei. Warum er denn das wissen wolle, fragte Flora keck zurück, habe sie ihm denn gefallen? Und als er antwortete, daß sie nicht so frech sein solle, und er sich nur mal hatte erkundigen wollen, da nahm sie ihr Zauberkrönlein und wünschte sich das Libellenkostüm herbei.
Der General wunderte sich nicht schlecht, als Flora plötzlich in ihrem blauen Kleid vor ihm stand, aber das Wundern ging auch bald in Bewunderung über und er konnte nicht anders, als sie küssen. Dann mußte sie ihm erzählen, wie sie an die Zauberdinge gekommen war und er gab ihr noch einen Kuß als sie berichtete, wie sie sowohl die Taube als auch die Libelle gerettet hatte.
Doch am nächsten Morgen, da mußte der General früh aufstehen und die Soldaten in den Kampf führen. Und es schien, als ob sich das Blatt wenden wollte, denn die königlichen Truppen kesselten ihre Gegner ein und forderten von ihnen, aufzugeben. Doch des Nachbarkönigs Armee kämpfte weiter und es wären sicher auf beiden Seiten noch Viele gefallen, wenn nicht der General einen Boten zum gegnerischen General geschickt hätte, der fragen sollte, warum sie denn eigentlich angegriffen hätten; es wäre doch vorher immer Frieden gewesen.
»Weil, mit Verlaub, Euer König ein Schuft ist, der Seine Majestät um große Summen Goldes betrogen hat.« kam als Antwort. Das wollte der General nicht glauben, denn er war seinem König treu ergeben, doch als Flora ihre Taubenfeder an das Papier hielt und diese weiß blieb, da mußte er es wohl oder übel. Er besann sich und schickte dann eine Botschaft zum Gegner.
Kurze Zeit später zogen beide Heere vereint bis zum Königspalast in der Hauptstadt und forderten die Herausgabe des Goldes.
»Ich weiß nicht, wovon Ihr redet!« schrie der König von einem Balkon herunter und die Taubenfeder färbte sich sofort pechschwarz. Da wurden die Soldaten und Offiziere wütend - einen unehrlichen König konnte das Land nicht gebrauchen. Sie schickten sich an, das Schloß zu stürmen und weil der König sah, daß die Palastwache ihnen nichts entgegenzusetzen hatte, rückte er schließlich mit dem Gold heraus.
Doch es half ihm nichts. Er mußte auf dem Marktplatz in den Käfig und sich anspucken lassen, und das zusammen mit seiner Frau. Da saßen sie nun hinterm Gitter und die Königin kratzte ihren Mann, denn sie hatte auch ohne Leopardenkostüm Krallen. Und sie keifte, wie er sich denn nur so dumm hatte anstellen können, ja, sie hätte doch ihren schönen Plan lieber selbst ausführen sollen. Da lachten die Leute auf dem Markt und Flora sah dem General tief in die Augen und sagte, daß sie ihn nie so kratzen und beschimpfen würde. Dann küßte sie ihn und sagte: »Du bist der richtige Mann für mich!«
Also wurde eine große Hochzeit gefeiert, und der General nahm Flora mit auf sein Landgut, wo sie morgens vom Fenster aus die sonnenbeschienenen, taubegläzten Wiesen sehen konnte und auch die drei Kinder, die sie gebar, glücklich aufwuchsen.
Das Krönlein hat sie später ihrem jüngsten Kind, ihrer kleinen Tochter, geschenkt, die Feder jedoch hat sie noch lange benutzt, um in ihrer Funktion als Botschafterin das Land vor Krieg zu bewahren, und nach ihrem Tode wurde diese sogar zu den Kronjuwelen gelegt.
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