Der Osten und die Toleranz
War die Wiedervereinigung ein Fehler?
Eine Kolumne von Jan Fleischhauer
Der Osten weist den Vorwurf stets von sich, fremdenfeindlich zu sein. So wie der Islam stets abstreitet, mit Terror etwas zu tun zu haben. Warum aber votiert jenseits der Elbe jeder Dritte für Parteien, die ein Problem mit Andersartigkeit haben?
Ich habe Helmut Kohl immer für einen großen Kanzler gehalten. Wie er die beiden Teile Deutschlands gegen alle Widerstände in die Einheit führte, ist eine politische Leistung, von der noch Generationen von Historikern reden werden. Ich bin gerne in den neuen Bundesländern, einige meiner besten Freunde kommen von dort. Aber seit ein paar Wochen frage ich mich, ob die Wiedervereinigung nicht doch ein Riesenfehler war. Es tut mir leid, dass ich das so sagen muss.
Überall kann man jetzt lesen, die politische Mitte radikalisiere sich. Einige erinnert die Situation bereits an Weimar, wo sich ganze Bevölkerungsteile von der Demokratie abwandten. Ich halte das für eine unzutreffende Behauptung, die in ihrer vornehmen Pauschalität etwa so wahr ist wie der Satz, dass der Terror nichts mit dem Islam zu tun habe. Die Wahrheit ist: Wir haben keinen neuen Rechtspopulismus in Deutschland - wir haben einen spezifischen Rechtspopulismus in Ostdeutschland.
Wenn eine der größten Errungenschaften des Westens das »angstfreie Andersseindürfen für alle« ist, wie es der Philosoph Odo Marquard genannt hat, dann hat der Osten auch 26 Jahre nach Mauerfall nicht wirklich aufgeschlossen. Wer für das Recht auf Individualismus und gegen die Kuhstallwärme der Volksgemeinschaft eintritt, hat dort bis heute einen schweren Stand.
Was ist von einem Landesteil zu halten, in dem jeder dritte Wähler Parteien gut findet, die ein Problem mit Unterschieden haben? Um die 20 Prozent der Leute dort votieren für die Linkspartei, die eine Nivellierung sozialer Andersartigkeit verspricht. Weitere 16 Prozent sind den Umfragen zufolge für die AfD, die gegen zu viel Fremdheit im Straßenbild antritt. Die Linkspartei möchte uns glauben machen, dass zwischen der AfD und ihr Welten lägen, aber das muss man nicht weiter ernst nehmen.
Der Wunsch nach Gleichförmigkeit
Das zentrale Versprechen ist Homogenität, das ist das Wort, um das hier alles kreist. Die einen versprechen soziale Homogenität, die anderen kulturelle. Gegen zu viel Ungleichheit sind beide.
»Die verstörte Nation« ist die Titelgeschichte des SPIEGEL über die neue Querfront, in der sich links und rechts zusammenfinden, überschrieben. Die Kollegen haben viele Beispiele für den deutschen Ungeist gesammelt, der jeden, der irgendwie aus dem Rahmen fällt, als Zumutung empfindet. Wenn man genau hinschaut, stellt man allerdings fest, dass sich dieser Ungeist fast immer in Ostdeutschland manifestiert. Plauen, Meißen, Erfurt - das sind die Orte, in denen sich der Wunsch nach Gleichförmigkeit so vehement Bahn bricht, dass man von einer Bewegung sprechen kann.
Ich rede nicht von fremdenfeindlichen Straftaten, obwohl auch hier der Osten führt. Ich halte nicht viel davon, von den Verfehlungen einzelner auf ein gesamtgesellschaftliches Klima zu schließen. Mir geht es um eine Stimmungslage, bei der Einverständnis darüber herrscht, dass es besser ist, wenn man unter sich bleibt.
Ich war neulich in Dresden bei einer Diskussion über Patriotismus und Zuwanderung. Neben mir auf dem Podium saß Werner Patzelt, Politikprofessor an der TU Dresden und inzwischen so etwas wie Deutschlands führender Pegida-Versteher. Was mich erstaunte und dann wirklich auf die Palme brachte, war der süffisant-gehässige Ton, mit dem die Probleme der Flüchtlingskrise beschrieben wurden. So als könne man es gar nicht abwarten, bis die Kanzlerin scheitert und sich alle düsteren Prophezeiungen erfüllen.
Ich halte die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung auch für falsch. Aber ich käme nie auf die Idee, mir deshalb zu wünschen, dass Angela Merkel mit ihrer sonnigen Annahme, das Land werde seine Probleme schon bewältigen, Schiffbruch erleidet. Die Menschen, die jemand wie Patzelt vertritt, sind nicht gegen die Flüchtlingspolitik, wie mir klar wurde: Sie sind gegen Flüchtlinge. Das ist etwas ganz anderes.
Die Remissionierung des deutschen Ostens
In Ostdeutschland gebe es eine andere politische Kultur, heißt es. Wenn man nach den Gründen fragt, wird man auf die lange Diktaturerfahrung verwiesen. Der entscheidende Unterschied für mich ist die Abwesenheit jedes christlichen Bewusstseins außerhalb des Kirchenmilieus. Man kann nicht einmal von Heidentum reden, die Heiden hatten ihre eigenen Götter. In weiten Teilen Ostdeutschlands hingegen ist sogar die Erinnerung erloschen, was mit dem Glauben verloren gegangen ist.
Man hat das auch bei den Auftritten der Kanzlerin gesehen, bei denen sie mit Verweis auf das Evangelium für ihren Kurs warb. Im sächsischen Schkeuditz schlug ihr erst Unverständnis und dann Wut entgegen, als sie an die christliche Nächstenliebe appellierte. In Wuppertal oder Nürnberg hatten die meisten Parteimitglieder am Ende ein Einsehen, auch wenn sie die gleichen Sorgen quälen wie die Parteifreunde im Osten.
Die Remissionierung des deutschen Ostens ist eine Operation, die Jahrzehnte in Anspruch nehmen würde. Vielleicht liegt, wie so oft, der erste Schritt zur Besserung in der Anerkennung der Wirklichkeit. Viele ostdeutsche Politiker beeilen sich zu betonen, dass der Osten mit Fremdenfeindlichkeit nichts zu tun habe - beziehungsweise, dass Fremdenfeindlichkeit ein Problem des ganzen Landes sei. Aber das ist erkennbar falsch.
Gibt es Ostdeutsche, die weltoffen sind, gebildet, freundlich, dem Neuen aufgeschlossen? Natürlich gibt es die, ich kenne viele, die so sind. Es gibt sie genauso wie es eine große Zahl an Muslimen gibt, die tolerant, weltoffen und Freunde der Demokratie sind. Dennoch fordern wir aus gutem Grund die islamische Welt dazu auf, ihre Dämonen in den Blick zu nehmen. Wir sollten von uns selber nicht weniger verlangen.
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