Fentanyl ist ein synthetisches Opioid, das als potentes Schmerzmittel in der Anästhesie (bei Narkosen) sowie als transdermales therapeutisches System zur Therapie von chronischen Schmerzzuständen, die nur mit Opiatanalgetika ausreichend behandelt werden können, eingesetzt wird. Fentanyl wirkt als Agonist am μ-Opioidrezeptor. Fentanyl fällt in Deutschland und in der Schweiz unter das Betäubungsmittelgesetz und in Österreich unter das Suchtmittelgesetz.
Entwicklung
1960 wurde Fentanyl von Paul Janssen als erstes Anilinopiperidin entwickelt. Seitdem wurden aus Fentanyl durch Modifikationen der Molekularformel eine Reihe besser steuerbarer Derivate entwickelt.
Anwendungsformen
Gebräuchlich ist Fentanyl als Fentanyldihydrogencitrat. Dabei gibt es drei hauptsächliche Anwendungsformen: Als intravenöse Verabreichung (etwa in der Anästhesie oder Notfallmedizin), als transdermales therapeutisches System (Durogesic®) und in Form eines oral-transmukosalen therapeutischen Systems (Actiq®), welches bei Durchbruchschmerzen als Lutschtablette mit integriertem Applikator an der Mundschleimhaut angewendet wird. Seit dem 1. September 2009 ist das erste EU weit zugelassene Fentanyl-Nasenspray – (Instanyl® von Nycomed) – gegen Durchbruchschmerz erhältlich (sehr intensiver minutenlanger Schmerz, typisch bei fortgeschrittener Krebserkrankung). Das Medikament ist indiziert für die Behandlung von Durchbruchschmerzen bei Erwachsenen, die bereits eine Opioid-Basistherapie gegen ihre chronischen Tumorschmerzen erhalten.[5] Wegen seiner starken schmerzstillenden Wirkung wird Fentanyl häufig perioperativ, das heißt vor, während, und nach einem operativen Eingriff, eingesetzt. In Form von Hautpflastern wird es als Analgetikum bei starken, chronischen Schmerzen von Krebskranken als auch in der Analgesie von chronischen Nicht-Tumor-Schmerzen (wie z. B. muskuloskeletale Schmerzbilder) eingesetzt. Im Rettungsdienst kann Fentanyl bei akuten Schmerzzuständen vom Notarzt verabreicht werden.
Wirkung
Fentanyl wirkt vorwiegend stark schmerzlindernd (analgetisch) und beruhigend (sedierend). Es ist etwa 100-mal so potent wie Morphin (gemessen am Gewicht ist nur ein Hundertstel der Menge an Fentanyl nötig, um die gleiche Wirkung zu erzielen), besitzt eine höhere Wirksamkeit (das Wirkungsmaximum ist höher), während seine Wirkdauer in der Regel deutlich kürzer ist. Fentanyl wirkt bei einer intravenösen Gabe nach 2 bis 5 Minuten. Die Halbwertszeit liegt bei 3–12 Stunden, wobei nach 30 Minuten der Blutspiegel unter die effektive Konzentration sinkt. Die zur Behandlung effektive Dosis (ED50) liegt bei 0,01 mg/kg Körpergewicht, die tödliche Dosis (LD50) bei 3,1 mg/kg Körpergewicht. Letztere Angabe bezieht sich allerdings auf Ratten. Beim Menschen führen in der Regel schon deutlich niedrigere Dosen zum Tod durch Atemdepression. Fentanyl ist in übrigen Nebenwirkungen gleichzusetzen mit den Nebenwirkungen von Morphin.
Fentanyl ist lipophil, d. h. gut fettlöslich und verteilt sich daher schnell in fetthaltigem Gewebe. Fentanyl wird hauptsächlich in der Leber verstoffwechselt und nur zu weniger als 10 % unverändert über die Nieren ausgeschieden.
Abhängig von der Dosis und dem Gesamtzustand des Patienten beeinträchtigt Fentanyl die Wahrnehmungsfähigkeit, wirkt beruhigend und führt zu Bewusstseinstrübungen bis hin zu einem schlafähnlichen Zustand. Deshalb wird es im klinischen Bereich zur Anästhesie (Narkose) eingesetzt.
Haupteinsatzgebiet ist die Gabe als Schmerzmittel bei Operationen in Verbindung mit einem Schlafmittel und wahlweise einem muskelentspannenden Mittel (Muskelrelaxans). Je nach Wahl des Schlafmittels spricht man von „balancierter Anästhesie“ oder „totaler intravenöser Anästhesie“ (TIVA). Fentanyl beeinträchtigt das Atemzentrum und führt bei höherer Dosierung zu einer Hypoventilation – ein Atemstillstand kann zu Koma oder zum Tod führen. Deshalb ist eine ständige Überwachung mit Beatmungsmöglichkeit erforderlich. Eine Ausnahme bilden Patienten, die auf fentanylhaltige Wirkstoffpflaster eingestellt wurden. Durch die gleichmäßige Wirkung und die im Vergleich zur Anästhesie meist deutlich geringeren Dosen ist nach einer Einstellungsphase keine dauerhafte Überwachung der Vitalfunktionen nötig.
Aufgrund der Lipophilie wird Fentanyl teilweise schwer kontrollierbar im Fettgewebe eingelagert und wieder freigegeben. Deshalb werden heute anstelle von Fentanyl häufig die verwandten Stoffe Alfentanil, Remifentanil und Sufentanil verwendet.
Wechselwirkungen
Die beruhigende Wirkung von Fentanyl kann durch andere Beruhigungsmittel und Alkohol verstärkt werden, die gleichzeitige Einnahme von anderen Opioiden (etwa anderen morphinhaltigen Schmerzmitteln) kann zu einer geringeren Wirkung führen. In Verbindung mit Monoaminooxidase-Hemmern können schwere Kreislauf- und Atemstörungen auftreten. Zwischen der Anwendung von MAO-Hemmern und Fentanyl sollen mindestens 14 Tage liegen. Durch die Plasmaeiweißbindung von 90 % kann es bei Verwendung in Schmerzpflastern zu Wechselwirkungen mit Präparaten wie Furosemid, Glibenclamid oder Omeprazol kommen. Durch den Abbauweg mittels Cytochromoxidase 450 ist eine Dosisanpassung von Fentanyl bei Rauchern zu beachten. Aus diesem Grund ist auch eine gleichzeitige Einnahme von Johanniskrautpräparaten (CYP 3A4-Induktor beschleunigt den Abbau von Fentanyl) oder Grapefruitsaft (CYP 3A4-Inhibitor verlangsamt den Abbau und steigert so die Wirkung von Fentanyl) nicht ratsam.
Nebenwirkungen
Zu den Nebenwirkungen zählt die Beeinträchtigung der Atmung bis hin zur Atemdepression, das Verkrampfen und Erstarren der Muskulatur, insbesondere der glatten Muskulatur, verlangsamte Herztätigkeit, verengte Pupillen (Miosis), Euphorie oder Angstzustände, Übelkeit, Erbrechen und Verstopfung. Bei schneller Injektion kommt es gelegentlich zu kurzzeitigem Hustenreiz.
Die unkritische Anwendung von Fentanylpflastern erhöht das Risiko für schwerwiegende Nebenwirkungen (UAW-News International)[6]
Überdosierung
Wie auch andere Opioide provoziert Fentanyl eine ZNS-Depression. Das akute Bild weist im Wesentlichen ausgeprägte Sedierung, Ataxie (Störungen der Bewegungskoordination), Miosis (Verengung der Pupille), Atemdepression und Krämpfe auf, wobei die Atemdepression besonders hervorzuheben ist. Fentanyl kann mit Naloxon antagonisiert werden.
Seit 2005 berichtet die FDA über schwere Nebenwirkungen und Todesfälle in Zusammenhang mit fentanylhaltigen transdermalen therapeutischen Systemen.[7] Da weiterhin entsprechende Meldungen eingehen - allein im Jahr 2009 397 Todesfälle[8] - hat die FDA Empfehlungen für Fachpersonen und Patienten publiziert. Folgende Punkte sind unbedingt zu beachten:
Fentanyl-Pflaster nur gemäß Indikation bei starken, prolongierten Schmerzen und unzureichender Wirksamkeit nicht-opioider Analgetika und schwacher Opiate zu applizieren.
Vom Hersteller vorgeschriebene Dosierung und Applikationsintervall einhalten.
Einwirkung von Wärme vermeiden, welche die Resorption des Arzneistoffs steigert.
Gleichzeitige Verwendung von CYP 3A4-Inhibitoren (Ketoconazol, Erythromycin, Nefazodon, Diltiazem, Grapefruitsaft) kann zu erhöhten Plasmaspiegeln führen. (s. Wechselwirkungen)
Gefahr von tödlicher Atemdepression bei Überdosierung.
Missbrauch
Zum Strecken von Heroin wird Fentanyl entgegen einer verbreiteten Meinung nur selten verwendet. Es ist schwer zu beschaffen, da es fast ausschließlich bei Operationen eingesetzt wird und wie Heroin im Betäubungsmittelgesetz aufgeführt ist.
Im April und Mai 2006 wurde in den USA eine Häufung von Vergiftungen mit Fentanyl (in der Form des Citratsalzes) bei Drogenkonsumenten beobachtet, teilweise mit Todesfolge. Das Fentanyl, das meist zum Strecken von Heroin und vereinzelt auch Kokain verwendet wurde, soll illegal hergestellt worden sein. Diese Entwicklung setzte sich fort und in einem Bericht spricht das CDC von 1000 Toten zwischen 2005 und 2007; die meisten Fälle wurden in Chicago, Philadelphia und Detroit registriert.[9]
Neben ihrem Einsatz in der Medizin wurden Fentanyl-Derivate auch auf ihre Verwendbarkeit als chemische Kampfstoffe hin untersucht.[10][11] Es wurden Vermutungen darüber angestellt, ob ein besonders potentes, in der Humanmedizin nicht zugelassenes Fentanyl-Derivat, das Carfentanyl, in Aerosol-Form bei der Geiselbefreiung im Moskauer Dubrowka-Theater im Oktober 2002 zum Einsatz kam und dabei für 127 Todesfälle mitverantwortlich war.[12]
Durch Einführen einer Methylgruppe in das Fentanylmolekül wurde 1979 eine gefährliche Designerdroge synthetisiert, das Methylfentanyl, im Szenejargon „China White“ genannt. Die Wirkung ist stärker als die des Fentanyls. Überdosierungen führen zu schweren Atembeschwerden und sogar zum Koma oder sofortigem Tod.[13]
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