Wolli sagt:
– Ich bedaure, daß meine Arbeit als Filmvorführer und Leiter eines Mädchenwohnheims, dieser Kleinkrieg mit der Konkurrenz, Materialbeschaffung, sprich Frauenaufreißen, mir es nicht erlauben, mich intensiver der Lektüre von Marcel Prousts »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit« hinzugeben. Dabei täte mir Zerstreuung durch ein gutes Buch im Augenblick mehr als Not. Ich werde eingekreist. Man will mich liquidieren. Bar um Bar rückt der Verfolger auf mich zu. Ich muß mir jede Geste überlegen.
– Auch ich bin nervlich überlastet, antwortet Jäcki.
– Ich suche Jeff und will ihm nicht begegnen. Um ihn nicht zu lieben und unsre Liebe zu erhalte, liebe ich mich erst mit zwei anderen aus, damit ich ihm liebevoller gegenübertrete. Ich kenne ihn nun drei Jahre. Er deutete von Anfang an an, daß seine Liebe an pekuniäre Erwartungen gebunden sei. Waren diese befriedigt, überfiel mich eine Stimmung aus Baudelaire und Querelle de Brest, die mich gelegentlich wieder übermannt und mein Leben zerstören würde, versetzte ich mich nicht künstlich in kühlere Zustände. Exotische Wonnen im Frischhaltebeutel. Aber sind sie nicht doch wertvoller als die ganze Ansammlung g[o]norrhöesker Mittelstandserpresser, ungewaschen, die mich in den einschlägigen Bars erwarten und zu denen ich fliehe, um ehrlich zu sein, damit mich Jeff nicht ans Messer liefert.
Wolli:
– Mein Liebling, Jäcki! Ich höre den ganzen Tag nichts andres als Geschlechtsverkehr. Nun mußt auch du dauernd nur davon sprechen, als existiere die Welt nur aus dem und als sei das Abnorme das Normale. Ich wüßte so gerne etwas mehr über Proust und Pound.
Jäcki:
– Aber lieber Wolli, ich höre den ganzen Tag nichts andres als Proust und Pound.
Hubert Fichte: Detlevs Imitationen »Grünspan«, Hamburg 1971 S. 123–124
(D.E. und Z. zugeeignet)
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