de.indymedia.org
>> VERÖFFENTLICHE DEINEN BEITRAG >> ALLE BEITRÄGE
ENGLISH
FOTO AUDIO lue=»Y« class=»check«>VIDEO
Evian 1938 - Evian 2003
von Kai Müller - 19.05.2003 21:00
Im Jahre 1938 fand in Evian eine traurige Regierungskonferenz statt, in der sämtliche 32 Teinhehmerstaaten ihren
Unwillen bekundeten, die in Deutschland bedrohten Juden mehr zu unterstützen. Nachfolgeorganisationen des aus
dieser Konferenz hervorgegangenen »Intergovernmental Comittee« führen heute im Zuge der Globalisierung eine
repressive Flüchtlingspolitik durch.
Evian 1938 – Evian 2003
1938, nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich, verschärften sich die antijüdischen Kampagnen
des Naziregimes, was dazu führte, dass sich die Nachbarstaaten gedrängt fühlten, sich gegen den Wachsenden
Flüchtlingsstrom der Juden abzuschotten. Nur in den USA konnten Jüdische Verbände und humanitäre
Organisationen auf die Regierung einen so starken Druck ausüben, dass diese sich zu Unternehmungen zugunsten
der Flüchtlinge genötigt sah. Da aber auch die Amerikanische Regierung über das festgelegte
Aufnahme-Kontingent von 27000 Menschen pro Jahr zu gehen nicht bereit war, versuchte sie, die anderen
Nationen mit in die Pflicht zu nehmen. Aus diesem Grunde berief der Präsident Franklin D. Roosevelt eine
Internationale Konferenz ein, die sich mit dem Problem der Migration der Juden in und aus Europa befassen und
bei der ein Verteilerschlüssel für die Aufnahme der Flüchtlinge ausgehandelt werden sollte.
Schon in den Vorverhandlungen wurde klar, dass kaum eine der teilnehmenden 32 Nationen daran interessiert
war, mehr Flüchtlinge als bisher aufzunehmen. Um es sich mit der Wirtschaftsmacht Deutschland nicht zu
verderben, drängte die Schweiz sogar dazu, dass die Konferenz nicht in Genf, dem Sitz des Völkerbunds,
stattfindet und erreichte, sie in den kleinen französischen Kurort Evian-les-Bains am Genfer See zu verlegen.
Natürlich bemerkten die Deutschen die Halbherzigkeit des Unternehmens und wagten deshalb, ihrerseits den
Druck auf die jüdische Bevölkerung zu erhöhen. „Mitte Juni, drei Wochen vor beginn der Evian-Konferenz,
verhaftete die Kriminalpolizei im ganzen Reichsgebiet mehrere tausend Männer, die als „Asoziale" kategorisiert
wurden, weil „sie sich der Arbeit entziehen und somit den Vierjahresplan sabotieren". Dies war bereits die
zweite Verhaftungswelle im Rahmen der „Aktion Arbeitsscheu Reich».« /1/ Während dieser Kampagne wurden
aber vor allem die Juden verhaftet und gleichzeitig der Druck zur Auswanderung erhöht.
Vom 6. bis 15. Juli tagten dann die 32 Teilnehmerstaaten in Evian. Auch waren die grossen jüdischen und
humanitären Verbände vertreten. Doch schnell zeigte sich, dass die Staaten kein Interesse an einer humanitären
Lösung des Flüchtlingsproblems zeigten. „Die Vertreter der jüdischen und karitativen Organisationen sollten den
Verlauf der Konferenz verfolgen und Gelegenheit erhalten, den Delegationsleitern ihre Vorstellungen zur Lösung
des Flüchtlingsproblems zu unterbreiten. Die dafür anberaumte Zeit war jedoch so knapp bemessen, dass die
Eilabfertigung das Gefühl der Hoffnungslosigkeit unter den anwesenden Juden noch verstärkte ... Kein Land war
bereit, „seine Tore auch nur einen Spalt breit für die ‚involuntary emigrants' zu öffnen."..... In der Regel wurde
auf der Konferenz nur allgemein von den ‚Flüchtlingen' geredet, und nicht erwähnt, dass diejenigen, deren
Aufnahme nacheinander alle Staaten ablehnten, Juden waren, um nicht den Verdacht zu wecken, dass eben dies
der Grund für die Ablehnung sei. Allein der Vertreter der australischen Regierung formulierte die
antisemitischen Ressentiments offen: Australien könne, so führte er aus, keine Einwanderer in grösserer Zahl
dulden, die nicht der gleichen Abstammung seien wie die Mehrheit der Bevölkerung. Das Land habe kein
Rassenproblem und sei nicht bereit, eines zu importieren." /2/
Das einzige praktische Ziel der Konferenz war die Gründung des „Intergouvernmental Committee", das zuerst
seinen Sitz in London hatte und heute in Genf sitzt.
Nach dem 2. Weltkrieg bereiteten die vielen Flüchtlinge und umherirrenden Zwangsumgesiedelten und ins
Deutsche Reich Verschleppten den Staaten grosse Probleme. Im Chaos des Nachkrieges hatte sich für diese
schwer zu verwaltenden Menschenmassen der Begriff „displaced persons" eingebürgert. Natürlich zählten zu
dieser so bezeichneten Kategorie vor allem die Opfer des Naziregimes, eben auch zum grossen Teil die Juden.
Teilweise wurden die Juden noch monatelang weiterhin an den Orten festgehalten, in denen ihnen so viel Leid
angetan wurde, weil die Besatzerbehörden nicht wussten, wohin mit ihnen – in den ehemaligen KZs. Später
verlagerte sich aber das Problem für die westlichen Staaten in Richtung der Einwanderung aus den östlichen
Gebieten vor allem Europas. Aufgrund des einsetzenden Kalten Krieges schien es den Westmächten wenig
opportun, diese Menschen in den Ostblock zurückzuschicken. Um diesen Zustrom aber zu koordinieren,
initiierten die USA und Belgien 1951 eine „International Migration Conference", aus der das „Intergovernmental
Committee for European Migration" (ICEM) hervorgegangen ist, eine Organisation mit Sitz in Genf, die 1989 in
„International Organisation for Migration" (IOM) umbenannt wurde. In den letzten Jahren hat diese Organisation
auf Regierungsebene, der über 100 Mitgliedsstaaten angehören, und die sich selbst als ein ökonomisch
orientiertes Gegenstück zum UN-Flüchtlingskomitee UNHCR sieht, stark an Bedeutung gewonnen.
„Die IOM brüstet sich damit, seit ihrer Gründung in das Leben von elf Millionen Menschen eingegriffen zu
haben. Allerdings selten zu deren Vorteil, obwohl einige der Betroffenen das auch anders sehen. Denn die IOM
organisiert z.B. in Deutschland die »freiwillige« Rückführung von illegalen Flüchtlingen. Freiwillig heißt dabei
nichts anderes, als dass die aufgegriffenen Migranten vor die Alternative gestellt werden, in Abschiebehaft
gesteckt und schließlich abgeschoben zu werden oder aber einen Vertrag mit der IOM abzuschließen und
»freiwillig« zurückzukehren. Die IOM macht ihnen die Rückkehr dadurch schmackhaft, dass sie die Flugtickets
spendiert, ein »Taschengeld« zahlt und den Flüchtlingen eine geregelte Ausreise ohne Unterbringung in einer
Abschiebehaftanstalt in Aussicht stellt. Solche »freiwilligen« Rückführungen betreibt die IOM hauptsächlich in
Länder, in die wegen der dortigen Zustände eine Abschiebung schwierig sein könnte. Sie schickt Menschen u.a.
nach Timor, Nordirak, Kosovo, Angola und Afghanistan zurück. Zu diesem Zweck arbeitet die IOM mit der
Bundesregierung zusammen und ist auch in den neuen so genannten Ausreisezentren oder Flüchtlingslagern aktiv.
Doch die Rückführung von Flüchtlingen ist nur eine von vielen Aufgaben der IOM. Vor allem versucht sie, dafür
zu sorgen, dass es gar nicht erst zu Fluchtbewegungen kommt. So organisiert sie zum Beispiel so genannte
»Migrationsseminare« in Flüchtlingslagern und verbreitet dort Schreckensnachrichten aus den westlichen
Industriestaaten. »Nein zur Sklaverei im Westen«, heißt dabei eine ihrer Losungen. Gemeint sind nach
Westeuropa verschleppte Frauen. Doch diese Kampagne gegen den Frauenhandel hat vor allem das Ziel,
potenzielle Flüchtlinge abzuschrecken, nach Westeuropa oder in die USA zu fliehen. Dabei ist die IOM in
Einzelfällen an humanitären Projekten beteiligt. So brachte sie aus dem Kosovo verschleppte und nach
Westeuropa verkaufte Frauen zurück und kümmerte sich um deren Wiedereingliederung. Allerdings macht dieses
Engagement nur den kleinsten Teil der Aktivitäten aus. Vor allem versucht die IOM, Flucht zu unterbinden. So
unterstützt sie Trikontstaaten dabei, ihre Grenzen zu befestigen, und organisiert die Ausbildung von
Grenztruppen. In der Ukraine, wo es bis vor kurzem überhaupt keine organisierte Migrations- und Grenzpolitik
gab, managte sie den Bau von Flüchtlingslagern und sicheren Grenzanlagen. Regierungsvertreter schickte sie auf
eine Bildungsreise in die USA an die Grenze zu Mexiko, damit diese sich dort mit effektiven Maßnahmen
vertraut machen. Aufgrund ihres weltweiten Netzwerkes bekam die IOM auch den Auftrag für die Auszahlung
der Entschädigungszahlungen an alle nicht jüdischen NS-Zwangsarbeiter. Dies betrifft vor allem Sinti und Roma,
die nun der IOM vorwerfen, Zahlungen zu verzögern und Geld für die eigene Verwaltung einzubehalten. Der
Roma National Congress (RNC) kritisiert außerdem, dass es gerade die IOM sei, die die Abschiebung von
Roma aus Deutschland arrangiere. Die IOM sei »der Feind der Roma«, erklärte der RNC kürzlich. Ihr Ziel sei
es, Europa »romafrei« zu machen. ...»Die Länder des industrialisierten Nordens bauen parallel zu umfassenden
Wirtschaftsabkommen ein globales Migrationssystem auf, dessen Kriterien eindeutig sind: Wer nicht zu den
Nützlichen gezählt wird, muss draußen bleiben.«(Bozic zitiert „no border».)« /3/
Wenn sich nun die grossen Industrienationen 2003 in Evian zu ihrem Gipfel treffen, um sich über ihre weitere
globale Interessenpolitik zu streiten und zu verständigen, so reihen sie sich würdig in die Konferenzgeschichte
dieses Ortes ein.
Anmerkungen:
/1/ Susanne Heim: „Deutschland muss ihnen ein Land ohne Zukunft sein" in „Beiträge zur nationalsozialistischen
Gesundheits- und Sozialpolitik" Band 11, Seite 61
/2/ ebd. Seite 62
/3/ Ivo Bozic: „Die IOM – Fluchtverhinderer» in „Jungle World«; net: http://www.aha-bueren.de/iom.htm , no
border: www.noborder.org/iom
Zusammengestellt: Kai Müller, Freiburg
>> Ergänzung zufügen
ERGÆNZUNGEN
|