Mir, der ich mehrere Albertinen in einer einzigen kannte, kam es vor, als sähe ich noch viele andere ebenfalls neben ihr ruhen. Ihre Brauen, die so geschwungen waren, wie ich es niemals gesehen hatte, umgaben die Wölbung der Augenlider wie ein weiches Seevogelnest. Rassen, Atavismen, Laster lagen ruhevoll über ihrem Gesicht! Jedesmal, wenn sie den Kopf bewegte, schuf sie eine neue, für mich oft ganz ungeahnte Frau. Es schien mir, als besäße ich nicht nur eines, sondern zahllose junge Mädchen. Ihre nach und nach immer tiefere Atmung hob regelmäßig ihre Brust und darüber auch noch ihre gekreuzten Hände, ihre Perlen, die auf so verschiedene Art bei der gleichen Bewegung ihren Platz verschoben wie Fischerboote und Ankerketten, die eine Bewegung der Wellen zu leisem Schaukeln bringt. Dann, wenn ich spürte, daß ihr Schlaf seinen Höhepunkt erreicht hatte, daß ich mich nicht mehr an Klippen des Bewußtseins stoßen würde,, die jetzt von der hohen Flut des Tiefschlafes überdeckt waren, sprang ich entschlossen lautlos auf das Bett, ich streckte mich neben ihr aus, umfaßte sie mit meinen Armen, drückte die Lippen auf ihre Wangen und ihr Herz und legte dann auf alle Teile ihres Körpers meine freigebliebene Hand, die nun auch wie die Perlen vom Atem meiner Freundin leicht emporgehoben wurde; ja ich selbst wurde von ihrer rhythmischen Bewegung leise auf und nieder gewiegt: ich hatte mich auf dem Schlummer Albertines eingeschifft.
Proust: Recherche, S. 2854
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