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Leonard Stein schrieb am 24.8. 2024 um 17:48:01 Uhr über

Erlösung

KRAFT UND WUNDER

Er saß da, ein geschundener Körper, der ihm nie gehorchte, nicht einmal bei dem verzweifelten Versuch, sich in die verstaubten Worte eines längst vergessenen Autors zu vertiefen. Das Buch, eine schwere Bürde, die angeblich den Sinn des Lebens erklären sollte, lag vor ihm wie ein dunkler Spiegel, der ihm seine eigene Erschöpfung zurückwarf. Seite um Seite zerrte an seiner Seele, bis nur noch ein dumpfes Gefühl der Verzweiflung blieb, das seine Gedanken lähmte und seinen Geist zermürbte.

Gießen! Schon der Name der Stadt rief eine finstere Abscheu in ihm hervor. Ein tristes Geflecht aus kaltem Beton und feuchtem Pflaster, durchzogen von Regen und dem Gestank modernder Häuser. In einem kleinen, muffigen Café suchte er Zuflucht, doch es war ein Fehler. Die Luft war schwer von abgestandenem Rauch und altem Kaffee. Mit jedem Schluck wurde ihm übler, bis ihm der Magen rebellierte und er sich mitten im Raum erbrach. „RAUS!“, schrie die Kellnerin, ein Gespenst von Frau, in ihrem Gesicht nur Verachtung. Er stolperte hinaus in die graue, unbarmherzige Stadt und brüllte in den bleichen Himmel: „Jesus, WAS WILLST DU VON MIR?“ Doch da war nur die kalte Leere der Stadt, die seine Worte verschlang.

Siegender Name klang wie ein Hohn, ein Versprechen, das niemals eingelöst wurde. Die Stadt schien sich in sich selbst zu verlieren, ein Labyrinth aus verwinkelten Gassen und alternden Fachwerkhäusern, die von einer falschen Stabilität zeugten. In der Fußgängerzone stieß er auf eine Gruppe Christen, die Lieder über Golgatha sangen, und die Worte trafen ihn wie Pfeile ins Herz. Aber sie brachten keinen Trost, nur das schale Gefühl, dass er nicht hierher gehörte, dass diese Stadt, so sehr sie sich auch als ein Ort des Sieges darstellte, nichts anderes war als ein Monument des Scheiterns. Also ging er weiter, getrieben von einer Rastlosigkeit, die keinen Namen kannte.

Altenhundem – ein Ort, der sich ihm in seiner Kargheit offenbarte, ein Dorf fast, in dem die Zeit stillzustehen schien. Die Menschen schwiegen hier, und ihre Blicke waren leer, als ob sie längst mit dem Leben abgeschlossen hätten. Er fühlte die bedrückende Enge des Ortes, der von düsteren Wäldern umschlossen war, und die Stille, die schwer auf ihm lastete, schien ihn zu erdrücken. Hier, im Schatten der Bäume, die wie stumme Zeugen auf ihn herabsahen, fühlte er sich verloren, als ob die Welt ihn längst aufgegeben hätte.

Dann kam Lennestadt, ein Sammelsurium von Ambitionen und Enttäuschungen. Neue Gebäude mit Glasfassaden, die stolz in den Himmel ragten, standen neben alten Ruinen, die stumm von einer besseren Vergangenheit erzählten. Die Menschen waren hier hastig, gehetzt, als würden sie ständig einem unerreichbaren Ziel hinterherjagen. Die Stadt war zerrissen, eine Stadt ohne Identität, ein Ort, der nicht wusste, wer er war oder wohin er gehörte. Jede Straße führte ins Nichts, jeder Schritt war ein weiterer in die Leere, und der Lärm der Stadt war ein ständiges Dröhnen in seinem Kopf.

Kreuztal – ein Ort ohne Seele. Die endlosen Reihen grauer Wohnblocks standen wie stumme Zeugen einer verlorenen Zeit. Die Straßen waren breit, aber leer, und die Kälte, die von den Betonwänden abstrahlte, drang ihm bis in die Knochen. Die Menschen, die hier lebten, waren wie Schatten, blasse Abbilder von dem, was sie einmal gewesen sein mochten. „Glauben? Dienen? Helfen?“, flüsterte er, aber die Worte schienen in der eiskalten Luft zu erfrieren, bedeutungslos und leer.

Doch dann, als er glaubte, dass es keinen Ausweg mehr gab, tauchte er in **Winterberg** auf. Ein Ort, der anders war. Der Name allein, „Winterberg“, klang wie ein Versprechendie Kälte, die Klarheit, die Höhe. Hier, auf diesem Berg, fand er nicht die stickige Enge der Städte, sondern die Weite der Landschaft. Der Schnee, der die Dächer und Straßen bedeckte, wirkte wie ein Mantel, der alles Unreine verbarg. Die Luft war schneidend frisch, die Stille nicht bedrückend, sondern reinigend. Hier, wo der Himmel zum Greifen nah schien, fühlte er etwas, das er in den dunklen Straßen der anderen Orte nicht gespürt hatte: eine seltsame Art von Frieden, ein leises Flüstern von etwas, das er kaum wagte zu benennen. War es Erlösung? Vielleicht. Vielleicht auch nur ein Moment des Innehaltens, ein Atemzug, der nicht von Lasten beschwert war.

Winterbergein Ort, der nicht wie die anderen Städte war, die ihn auf seinem Weg begleitet hatten. Hier, in der klaren, kalten Luft, konnte er für einen Augenblick vergessen, was hinter ihm lag, und sich vorstellen, dass es irgendwo, vielleicht nur für einen Moment, so etwas wie Ruhe geben könnte.



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