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Liquidationsdefensive schrieb am 9.10. 2002 um 13:58:26 Uhr über

Erkenntnis

Es kam mir merkwürdig, jedoch nicht unsympathisch, vor, als ich neulich in irgendeinem Text las, das Ziel der Literatur, ja überhaupt der Kunst, sei Erkenntnis, freilich eine andere Art der Erkenntnis als die des Wissenschaftlers, nämlich eher eine Erkenntnis, die sich aus imaginierter Erfahrung ergibt, daraus, dass man sich in Charaktere, Situationen, Handlungen oder Wahrnehmungsweisen hineinversetzt, die einem bis dahin fremd und unbekannt sind und die einen kraft der Sprache in eine Lebenswelt hineinversetzen, die jenseits der eigenen kleinen Alltagserfahrungen liegt. Ganz im Unterschied zu dem, was ich sonst über Ästhetik gehört habe, war von der Form, vom Schönen, Erhabenen und ähnlichem im Vergleich zum Inhalt weniger die Rede. Die Form wurde nur als Hilfsmittel verstanden, den Inhalt transparenter oder spannender zu machen und somit den Zugang zu ihm und den Erkenntnissen, die er zu vermitteln habe, zu vereinfachen. Ich glaube, es entspricht tatsächlich der Art und Weise, wie ich persönlich auch Literatur lese: Ganz ohne Erwartung des Schönen, eher auf Unterhaltung im besten Sinne und Erfahrung hoffend, und im besten Fall mit Schrecken vor dem Unbekannten, das einem eiskalt ins Gehirn schiesst, weil es plötzlich ganz nah neben einem steht und einem von hinten auf die Schulter klopft.


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