Die wohl geformte, quasirealistische Erinnerung, wie sie im Geist eines Erwachsenen vorkommt, ist dem Menschen nicht von Geburt an eigen. Sie entsteht im Kind erst mit der zunehmenden Sprechfähigkeit. Ist der Mensch erstmal in der Lage, die Dinge mit Hilfe von Worten in Kategorien einzuteilen, beginnt er allmählich, Erlebtes in strukturierter Form abzuspeichern. Im Verlauf dieses Prozesses entwickelt der denkende Mensch die Fähigkeit, Erinnerungen zu mehr oder weniger abgeschlossenen Episoden zusammenzufassen, die er sich zu einem späteren Zeitpunkt wieder ins Gedächtnis rufen kann. Zumeist ist ein »sich erinnern« aber gar kein bewusster Akt, sondern eine unwillkürliche, oftmals unerwünschte Leistung des Unbewussten. Interessant ist auch, dass es sich nach neuesten Erkenntnissen, bei der Erinnerung, die wir vor unserem geistigen Auge sehen, gar nicht um eine Erinnerung an das eigentliche Geschehen in der Vergangenheit handelt - viel mehr erinnern wir uns an unsere letzte Erinnerung an dieses Geschehen, die wiederum nur eine Erinnerung an die Erinnerung zuvor ist. Dabei kommt es zwangsläufig zu subjektiven Umformungen des eigentlichen Geschehens durch Gewichtungen, Auslassungen, Neuerfindungen etc.
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