DER STANDARD:
Der Westen gibt viel Geld für Entwicklungshilfe aus. Warum gibt es auf der Welt trotzdem noch immer Armut?
Nancy Qian:
Den meisten Menschen ist nicht klar, dass der Großteil dieser Billionen nicht an die ärmsten Länder gegangen ist. Das meiste Geld geht einfach an politische Verbündete, die vielleicht nicht einmal Entwicklungshilfe brauchen. Sie können mit dem Geld dann oft einfach machen, was sie möchten.
DER STANDARD:
Wofür wird das Geld dann ausgegeben?
Nancy Qian:
Das Problem ist: Egal wohin die Entwicklungshilfe auf dem Papier fließt, Geld hat kein Mascherl. Wenn ich für ein Krankenhaus zahle und fordere, zeig mir das Krankenhaus – dann ist es vielleicht da, aber wäre es vielleicht ohnehin gebaut worden? Wenn Hilfe in ein Land geht, in dem klug damit umgegangen wird, dann kann sie Positives bewirken. Aber die meisten Politiker in armen Ländern wollen das Geld einfach für Dinge ausgeben, die gut für sie selbst sind. Am Ende ist es unmöglich zu kontrollieren, was mit den Hilfen wirklich passiert.
DER STANDARD:
Aber wofür wird das Geld auf dem Papier ausgegeben?
Nancy Qian:
Das wenigste für humanitäre Hilfe, aber das haben die meisten Menschen im Kopf, wenn sie an Entwicklungshilfe denken. Medizin, Lebensmittel und Wasser sind ein kleiner Teil. Viel fließt in Infrastruktur oder Bildung. Genau wissen wir es nicht, weil es keine guten Daten dazu gibt. Wir wissen auch wenig über die NGOs.
DER STANDARD:
Wie meinen Sie das?
Nancy Qian:
Bis vor 30 Jahren gab es nur ein paar Hundert NGOs, die sich engagiert haben. Heute betreiben zigtausende Entwicklungshilfe. Das Vertrauen in die Regierungen war gering, und darum begannen viele, sich in NGOs zu organisieren. Es gibt aber wenig Koordination. NGOs zahlen in Entwicklungsländern auch sehr gut und werben manchmal Mitarbeiter von Regierungen ab. Die fehlen dann. Sie machen viele wichtige Sachen, aber es gibt Probleme.
DER STANDARD:
Armut überall auszulöschen ist viel verlangt, sie sinkt immerhin. Wie ist der Stand der Forschung zur Entwicklungshilfe?
Nancy Qian:
Es gibt sehr viel Forschung, die besagt, dass die Hilfen nichts bewirkt oder sogar eher geschadet haben. In Bürgerkriegsgebieten kann Entwicklungshilfe die Lage sogar verschlimmern, weil sie Konflikte anfacht. Die Milizen kämpfen dann um das Geld, das hereinkommt. Auf der anderen Seite gab es vor allem in den vergangenen Jahren Forschung, die optimistischer macht. Zum Beispiel aus den Philippinen. Oder brandneue Studien zu NGOs in Uganda, die zeigen, dass durch sie weniger Menschen sterben.
DER STANDARD:
Unter dem Strich?
Nancy Qian:
Es ist schwierig, eine genaue Bilanz zu ziehen, aber unter dem Strich zeichnen die Billionen Dollar, die wir ausgegeben haben, ein düsteres Bild der Entwicklungshilfe. Es gibt nicht viele Beweise dafür, dass sie viel gebracht hat, und viele Probleme damit. Etwa weil Länder mit schrecklichen Regierungen Geld bekommen, und diese deshalb weniger auf die Bevölkerung achten. Oder weil Entwicklungshilfe den Wechselkurs hinauftreibt und so der lokalen Wirtschaft schadet. Aber die Wissenschaft ist in Wahrheit erst am Beginn, das alles wirklich herauszufinden.
DER STANDARD:
Wenn Hilfen in die ärmsten Länder der Welt gehen, haben diese oft kaum staatliche Strukturen, dafür Konflikte, Korruption. Das ist mit der Grund, warum sie so arm sind, sie bräuchten das Geld am dringendsten. Aber die Forschung scheint zum Ergebnis zu kommen, dass das auch die Gründe sind, warum Entwicklungshilfe dort eben nicht funktioniert.
Nancy Qian:
Exakt so ist es.
DER STANDARD:
Sollen wir es lassen?
Nancy Qian:
Nein, denn nur weil es bisher nicht funktioniert hat, heißt das nicht, dass es nicht künftig besser gehen kann. Wir müssen mehr dazu forschen, was funktioniert und was nicht, und positiv sein. Viele Menschen sind arm, sie brauchen Hilfe. Und es ist offensichtlich, dass wir das Leben von vielen verbessern können.
DER STANDARD:
Warum?
Nancy Qian:
Weil ich gesehen habe, wie schlecht viele leben. Wir reden über Länder, in denen Menschen hungern und links und rechts sterben. Manche haben Sterberaten wie Europa im Mittelalter, ein Drittel der Kinder sterben. Bevor wir in eine nuancierte Diskussion einsteigen, was Entwicklungshilfen alles nicht lösen können, gehen wir das an, wo sie offensichtlich einen Beitrage leisten können.
DER STANDARD:
Der Ökonom Angus Deaton sagt, der beste Weg, Armen zu helfen, sei, weniger Entwicklungshilfe zu geben.
Nancy Qian:
Dem stimme ich nicht zu. Ich verstehe, warum er und viele andere skeptisch sind. Ich bin die Autorin einer der vielleicht negativsten Studien, was Entwicklungshilfe betrifft. Aber wir blicken falsch darauf, wenn wir so etwas sagen. Dass viel Geld nach Afrika geflossen ist und der Kontinent trotzdem nicht viel besser dasteht und wir deshalb keine Hilfen geben sollten, ist eine zu einfache Antwort. Und für die Armen dieser Welt ist es die falsche.
DER STANDARD:
Geben Sie uns ein positives Beispiel für Hilfen.
Nancy Qian:
Viele ärmere Länder führen zum ersten Mal demokratische Wahlen durch. Das ist wichtig, um bessere Institutionen zu bekommen. Das gut zu machen ist aber nicht einfach, wenn man das noch nicht so oft getan hat. Es gibt unzählige Möglichkeiten, Wahlen zu manipulieren! Wahlbeobachtung zu finanzieren ist eine sinnvolle Tätigkeit. Es ist teuer, wenn man in jedes Dorf Leute schickt.
DER STANDARD:
Österreich gibt gut eine Milliarde Euro für Entwicklungshilfe aus. Haben Sie Ratschläge für ein derart kleines Land?
Nancy Qian:
Was uns vor allem fehlt, sind gute Forschung und rigorose Evaluierungen, wann und wie Entwicklungshilfe effektiv sein kann. Wenn Österreich selbst also nicht allzu viel Geld hat, könnte es die Wissenschaft damit fördern. Es könnte auch Geld an kleine Start-ups vergeben, die neue Ideen ausprobieren. Da können kleine Beträge viel bewirken.
DER STANDARD:
Österreich hat versprochen, 0,7 Prozent des Nationaleinkommens für Entwicklungshilfe auszugeben. Wir kommen nicht einmal auf die Hälfte. Sollten Menschen Druck auf die Regierung ausüben?
Nancy Qian:
Über längere Sicht müssen wir darüber reden, ob wir mehr Geld ausgeben sollten. Im Moment ist es aber klüger, sich nicht für mehr, sondern für intelligentere Entwicklungshilfe einzusetzen. Das könnte eine großartige Nischenposition für ein kleines, reiches Land wie Österreich sein: Entwicklungshilfe klüger machen. Das hilft dann auch allen anderen.
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