im Rhythmus produktiver Tätigkeit und produktiver Vergesellschaftung zu konsumieren. Disziplinierting erreichte nicht den Punkt, at-i dem sie das Bewusstsein und den Körper der Individueii vollkommen durchdrLIiigeii hätte, den Punkt, ihnen in all ihrem'run zu begegnen und sie zu organisieren. In der Disziplinargeselischaft blieb das Verhältnis von Macht und liidividLLtini daher statisch: die diszipliiiäre Invasion der Macht stieß entsprechend auf den Widerstand der Individuen. Im Utiterschied dazu wird, wenn Macht vollkommen biopolitisch ist, die Gesellschaft selbst zur Machtmaschine, entwickelt sich in ihrer Virtualität (... ). Die Gesellschaft ist"' wie ein einziger sozialer Körper einer Macht stibsumiert, die hiiitititerreicht bis in die Gaiiglien der Sozialstruktur und deren Eiitwickltiiigsdyiiamikeii.@@ (39)
Zum Beleg für diese Foucault zugeschriebenen Ansichten berufen sich H/N auf zwei zentrale Werke Foucaults, in denen dieser den Begriff der Biomaclit entwickelt: Den ersten Band der Trilogie »Sexualität und Wahrheit«, den er noch in den 70er Jahren unter dem Titel »La volont6 de savoir«, »der Wille zum Wissen« veröffentlicht hat und »Les mailles du pouvoir«, eine Vorlesung an der philosophischen Fakultät der Universität Baliia unter dem gleiclinai-nigen Titel »As malhas do poder«. 116
Zu Unrecht. Denn hier welit ein ganz anderer Wind. In beiden Werken findet man nichts von der totalisierenden Einvernahme aller produktiven Kräfte des Menschen in die globale Totalität des biomäciitigen Sozialkörpers wieder. Nicht Einvernahme, nicht Verzelir, nicht totale Subsumtion, sondern: biopolitisclie Tecliiiologie als sozialer Angriff zur Verwaltung der Körper und rechnerische Planung des Lebens, Techniken zur Unterwerfung der Körper, Besetzung des Raums der Existenz, nur eine Ang@iffsfront also, unter Eiiiscliluss nicht nur des Tötens, sondern des Massakers. Foucault begreift »Bioi-nacht« als strategisches Dispositiv gewalttätiger Zurichtungsstrategien, die in neue Tiefen des Lebens eindringen und dabei eine neue Gewaltsamkeit gegen das entwickeln, nicht jedoch als umfassenden und alles einsaugenden Prozess der Produktion des Lebens, wie es HIN wollen.
12' Die Übersetzung ist nicht so prägnant wie der Originaltext, sie schwächt ihn ab: »Society, subsuined withiii a power ihat reaches down to the gaiiglia of tlie social structure and its processes of development, reacts like a single body«: ... subsumiert innerhalb einer Macht... verhält sich wie ein einziger Körper.
'2' 1981, abgedruckt in Dits et ecrits 11, op. cit., Seite 1001 bis 1019.
110
Kampf gegen die Biomacht als Ort der Erkenntnis
Wenn man den politischen Gehalt dieser Perspektive begreifen will, i-nuss man zurückgelien auf den politischen Koiltext der Auseinan(lersetzungen der frülien 70er Jahre, in denen Foucault die Erfahrungen aus seiner Lehrzeit als Psychologe in den 50er Jalireii plötzlich unter dem Eindruck der 68er-Revolte politisiert und sie ausdrücklicli in den Dienst der von den biopolitisclien Strategien angegriffenen Menschen gestellt hat.
Der Mai 1968 - kurze Zeit nach dem Erscheinen des Buclis »Ordnung der Dinge«, das enorme Diskussionen in Gang setzte trieb ihn nicht nur zu neuen Erkenntnissen über die Politizität seiner Erfahrungen als Psychiater in den 50er Jahren, sie zog ihn auch in eine Reihe praktischer Aktivitäten. Als Mitbegründer des GIP (Groupe d'infori-natioii sur les prisons) betrieb er vor allem Agitations- und Infori-nationstätigkeit mit der Absicht, seine Erfahrungen unmittelbar den Gefangenen zur Verfügung zu stellen. Zeitweise gab er auch die Gefängniszeitsclirift »Intol@rable« heraus. Dabei suclite er selbst gar nicht den Vordergrund. Er agierte in einer Gruppe, ebenso wie später in der GIS. (Groupe d'information santde), die er gründen half und die er mit seiner Grundsatzerklärung »Medizin und Klassenkampf« fundierte.
Warum die von großer Bescheidenheit getragene Beteiligung an den Kämpfen eines kleinen Teils der sozialen Auseinandersetzuiigeii auf einem relativ beschränkten Terrain? Warum nicht der Griff nach der Totalität der Erklärungen und des politischen Anspruclis? Dies lag nicht daran, dass er sich nur dort gut auskannte und seine in den 50er Jahren gewonnenen Erfahrungen einbringen konnte. Es war Ausdruck einer grundsätzlichen philosophischpolitischen Einstellung und Einscliätzung über die Möglichkeiten des Gewinns von Erkenntnissen. Der Griff nach der Totalität, der umfassenden Erklärung des Ganzen erschien ihm nicht möglich und oberflächlich."' Foucault war der Meinung, dass Erkenntnisse nur aus der subversiven Kraft des Wissens im Kampf gegen die Macht möglich waren. In der Unterwanderung des Herrschafts-
121 Die philosophische Begründutig lieferte er u. a. in einem Gespräch mit Paolo Caruso: abgedruckt in Michel Foucault, von der Subversion des Wissens, Frankfurt am Main August 1987, Lizenzausgabe des 1974 bei Haiiser erschienen Buclis, S.7.
111
|