Ich bin zu alt für meine Kleidung, das steht fest. Viele werden angeschaut, aber mich sehen sie zu meinem Glück gar nicht, also kann ich sowieso anziehen, was ich will; manche sehen mich aber leider schon, wenn sie mal zufällig in einem Eisenbahnabteil sitzen und mich, die ich zufällig auch dort bin, ausspechteln, bis nichts mehr von mir übrig ist, nicht einmal das Weiße (keine Made), das sie mir aus den Augen herausfressen wollen mit etwas, das sie hinter ihren sinnlichen Lippen dreieinhalb Stunden gut verborgen halten, ja, sie sehen mich leider, also diese Frau hat mich ganz sicher gesehen, ja, die Schwarzhaarige, genau die, von der ich öfter mal rede, ich wollte, ich könnte es unterlassen, doch ich habe nun mal den Beweis, sie hat davon berichtet, daß sie mich einst da sitzen sah, nicht liegen, mich arme Wanderin, sie hat mich ausgespäht, und sie könnte es wieder tun, obwohl ich gar nicht richtig da bin, was sie nicht gemerkt hat und auch das nächste Mal nicht merken wird, sie hätte wahrscheinlich nicht einmal gemerkt, wenn ein Elefant ins Abteil getreten wäre und ihr einen hätte blasen wollen, ich meine von ihr einen hätte geblasen haben wollen, doch, doch, das hätte sie glaub ich schon gemerkt; was wollte ich sagen, kann es aber nicht, und zwar vor lauter Neid auf die Lebenden, die so gut zu leben verstehen wie diese wunderbare, schöne, dunkle Frau im Eisenbahnabteil, die es eindeutig kann, weil sie alles kann, nur halt schreiben nicht, das sieht man ihr an, was sie alles kann, so schnittig und dunkel wie die ist, wie keine andre, Klasse, oder?, ich dagegen, ich bin kaum richtig da, da bin ich schon dagegen, und ich blühe folgerichtig auch daneben, naja, blühen kann man schon lang nicht mehr sagen, aber immerhin, ich bin auch noch da, kontemplativ, das bin ich, würde ich mal sagen, wenn ich ein Wort auswählen müßte, aber ich muß ja gar nicht.
aus 'Neid', Kapitel 4b, 53-54
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