»Bertini setzte sich auf die Bank mir gegenüber, und während alle in meiner Reihe sich vergeblich mühten, an seinem riesigen Riechorgan vorbeizusehen, begann er seine breiten, von feuerroten Pusteln bedeckten Nasenflügel zu betasten, versuchte schließlich den prallsten Pickel mit den Daumennägeln auszudrücken. Obwohl die U-Bahn lautstark rüttelnd durch eine Kurve fuhr, platzte die Pustel hörbar auf. Sofort nach diesem ploppenden Geräusch floß grünliche Flüssigkeit über Bertinis Nasenspitze. Der Eiter tropfte ihm auf Kinn und Brust, schleimte in einer Menge aus dem Pickelloch, die seinem Ursprung gar nicht angemessen war - und eben dieses übertriebene Maß des eklen Flusses verhinderte, zusammen mit der Größe unseres Ekels, daß wir, die Fahrtgenossen, an der Erscheinung Echtheit zweifeln konnten.« In dieser kleinen Szene verbirgt sich die romantische Theorie von der ästhetischen Wirkung des Ekels, dessen unmittelbarer Reiz so stark ist, daß er dem Betrachter nicht erlaubt, zwischen Sein und Schein zu unterscheiden. Und nur dem Eingeweihten wird bewußt, daß Bertinis Nase ein Requisit aus der Maskenbildnerei und seine Eiterspiele ein Kunstwerk waren.
FAZ über Georg Klein: »Barbar Rosa. Eine Detektivgeschichte«
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