Betroffen aufessen
Ich war wohl so um die acht Jahre alt,
doch ich werd' es nicht vergessen.
Es war in diesem städtischen Kindertagesheim -
nach der Schule immer ein Essen.
Und wenn es mal wieder, mal wieder so weit war,
daß ich sagte »Dieses Essen hier ess' ich nicht«
(Denn mit meinen acht Jahren damals fand ich Blattspinat ganz schön eklig)
Dann gab es diese Erzieherin,
die mit ihrem selbstgestrickten Wollpulli ankam
Und uns immer wieder dasselbe sagte:
"Oh komm schon, sei artig, iss alles auf,
denn in Uganda verhungern die Kinder.
Wir sollten alle viel dankbarer sein,
denn in Uganda verhungern die Kinder."
Ich hab' mich mit meinen acht Jahren schon so gefragt,
was verdammt nochmal das Kind jetzt davon hat
Ob ich diesen ekelhaften Blattspinat esse oder nicht -
ob ich ihn esse oder nicht.
Sie wollte halt nur, daß wir groß und stark werden
während irgendwo die Menschen sterben.
Daß wir uns alle gut und sinnvoll ernähren
und ihre humanistischen Werte lernen.
Ich frag' mich, wo sie heut' wohl ist,
was sie heut' wohl macht, ob sie immer noch ihren Pulli hat
Ich meine, das wäre gar nicht mal unwahrscheinlich
Und wenn die Bilder der Tagesschau auf sie einkrachen,
wird sie weinen und sagen:
»Dagegen muß man doch was machen«
Und wenn es das ist, wie man reichen Kindern erklärt,
daß man aufessen muß, wenn irgendwo einer stirbt
"Wir sollten alle viel dankbarer sein,
weil wir es ja nicht sind, die vor Hunger schrein"
Und ihr Gewissen wird sie dann gut schlafen lassen,
lieber zehnmal Verständnis als einmal zu hassen
Und humanistische Werte lehren
während irgendwo Menschen vor Hunger sterben
Humanistische Werte lehren
während irgendwo Menschen vor Hunger sterben
Pazifistische Werte lehren
während irgendwo Menschen vor Hunger sterben
Und ab und zu auf Demos gehen,
Grün wählen,
Spiegel lesen,
Sting hören,
Greenpeace spenden -
Sich bewusst ernähren
( But Alive )
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