Das Hauptstück meiner Kernthese lautet wie folgt:
(Kapitel V)
V
Recht der Begegnung / unter Zweien: Verletzung und Wiederverletzung
V -
Welcher Rechtsanspruch ergibt sich aus einer erlittenen (von einem Andern zugefügten) Verletzung?
... Worauf hat einer als Verletzter Anspruch, worauf kann er Anspruch erheben?
.... Was darf einer als Verletzter dem Verletzer antun?
.... Was kann der Verletzte von der Behörde, letztlich von der Allgemeinheit, vom Staat verlangen? Wozu ist der Staat gegen den verletzten Einzelnen verpflichtet?
V A
Gleiche Wiederverletzung?
V B
Gar kein Rechtsanspruch des Verletzten (soweit Schadensersatz unmöglich)? Wiederverletzung sinnlos, Zorn unvernünftig?
V B 1
1) Der Rechtsanspruch des Verletzten auf Wiedergutmachung erlischt nicht einfach, sondern er wird zu einem Rechtsanspruch auf Wiederverletzung.
Wenn eine Verletzung - und zwar eine nicht wiedergutzumachende Verletzung - verübt worden ist, wenn also jemandem etwas angetan worden ist, was nicht - wie eine Wegnahme durch Rückgabe bzw. Wiederansichnahme der weggenommenen Sache - rückgängig und sozusagen ungeschehen gemacht werden kann, so besteht gleichwohl zunächst ein Rechtsanspruch auf Rückgängigmachung oder Wiedergutmachung, und der wird mit der Unmöglichkeit derselben keineswegs einfach (d.h. ersatzlos) zunichte. Vielmehr wandelt er sich in den Rechtsanspruch auf Vergeltung / Wiederverletzung. (Die nicht wiedergutmachen, aber doch an die Stelle der Wiedergutmachung treten soll.)
3) Dagegen, daß der Zorn vor der »vernünftigen« Einsicht, daß man vom Wiederverletzen »nichts hat«, verschwindet / verschwinden sollte: Rechtssinn ist eben unvernünftig.
Gewiß, das Verlangen nach Wiederverletzung, der Zorn, ist sozusagen unvernünftig - man »hat nichts« von der Wiederverletzung -, aber der Rechtssinn ist eben nicht »vernünftig«, d.h. nicht egoistisch. Er dämpft ja zunächst einmal den Egoismus und damit das »vernünftige« ausschließliche Verfolgen des eigenen Interesses, indem er verbietet, mehr als seinen Anteil zu nehmen, mit der Tauschware zu übervorteilen, gar zu betrügen, die versprochene Gegenlieferung oder Gegenleistung einfach schuldig zu bleiben, Geborgtes zu behalten, Begehrtes wegzunehmen (: zu rauben oder zu stehlen), im Wege Stehendes zu beseitigen.
Auch wo man im eigenen Interesse auf seinem Recht besteht, tut man das nicht ganz bzw. nur im eigenen Interesse. Denn warum will man gerade seinen Anteil vom Ganzen (und nicht möglichst viel)? Und warum will man für sein Tauschgut gerade ein gleichwertiges Tauschgut (und nicht ein möglichst Hochwertiges)? Erst recht, wenn man etwas zurückfordert: Warum will man gerade die selbe Sache wiederhaben und nicht irgendeine andere gleichartige? Warum eine gleichartige und nicht eine irgendwie andersartige gleichwertige? Warum überhaupt gerade eine gleichwertige? Warum gerade gleichviel? Warum nicht mehr? Warum will man das, was man haben will, gerade von dem haben, der einem etwas weggenommen hat? (Vielleicht wäre es bei einem anderen leichter, ihm etwas wegzunehmen.) Und warum will man überhaupt erst dann etwas haben, wenn man etwas eingebüßt hat? (Kann man z.B. Geld nicht immer brauchen?) Offenbar liegt in dem Bestehen auf dem eigenen Recht - nicht weniger als im eigenen Rechttun, im besonderen im Unterlassen von Unrechtshandlungen - auch der (objektive, nicht dem eigenen Interesse entspringende, also unvernünftige) Wunsch, daß es gerecht zugeht; also zunächst, daß Unrecht unterbleibt / kein Unrecht geschieht, dann aber auch, wenn nämlich schon Unrecht verübt worden ist, (nicht nur, daß es nicht geschehen wäre, sondern sogar) daß es wieder rückgängig (sozusagen ungeschehen) gemacht, oder doch ausgeglichen wird. Also, nach einer Wegnahme (Raub / Diebstahl), daß der Räuber / Dieb das Weggenommene dem Beraubten / Bestohlenen wiedergeben muß, oder, einfacher, daß es ihm einfach wieder weggenommen wird und der andere es wiederbekommt. Der Wiederverletzungswille (: der Zorn) geht in seinem Wunsch nach Gerechtigkeit nur weiter (s.h. weiter als die Wiederwegnahme usw.) über das »Vernünftige« hinaus.
Und dieser Zorn kann nicht nur gerecht sein, d.h. nach einer Wiederverletzung verlangen, auf die man einen Rechtsanspruch hat, sondern er ist sogar - soweit er gerecht ist - Quelle / Voraussetzung allen Rechtes / Rechtsgefühls. Denn »A hat den und den Rechtsanspruch an B«, das heißt zugleich »Wenn B diesen Anspruch nicht erfüllt, so fügt er A ein Unrecht zu«. So ist die Forderung immer begleitet von einer Mißbilligung der Nichterfüllung (als Unrecht). [Umgekehrt gibt es sehr wohl Unrecht, dem kein Rechtsanspruch vorausgeht / zugrunde liegt. Und solch ein primäres Unrecht ist sogar noch mehr zu mißbilligen: Wer die direkte Verletzung einer Person (an Leib und Leben) nicht mißbilligt, wie könnte der schon ihre bloße Beraubung oder Bestehlung - ihre Verletzung über ihren Besitz - mißbilligen? Wer dieses direkte Wegnehmen nicht mißbilligt, wie könnte der schon die bloße Nichtrückgabe einer Leihgabe, die bloße Nichtlieferung einer versprochenen Tauschgegengabe mißbilligen? Und wie könnte einer, der das nicht mißbilligt, schon ein bloßes Sich-zuviel-Nehmen oder Zuwenig-Beitragen mißbilligen?]
Solange die Mißbilligung (als Unrecht) allgemein bleibt, nur die Mißbilligung eines »solchen« Verhaltens ist, mag man meinen, daß sie frei von Zorn sei oder doch sein könne; richtet sie sich aber konkret auf »dieses« vorliegende (oder immerhin vorgestellte) Verhalten, so ist sie untrennbar verbunden, ja gar nicht mehr zu unterscheiden vom Zorn, d.h. von dem Verlangen, den Unrechttäter dafür zu bestrafen, jedenfalls bestraft zu sehen / zu wissen. Ohne dieses Verlangen - zumindest als erste Regung - ist die Mißbilligung nicht ernst zu nehmen. (Und ohne die zornige Mißbilligung »dieser« Unrechtshandlung hat die allgemeine Mißbilligung einer »solchen« Unrechtshandlung (z.B. »des« Mordes) keine Grundlage; sie wird unglaubwürdig, wenn sie angesichts »dieser« Unrechtshandlung ausbleibt.)
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