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Gernot schrieb am 20.12. 2001 um 21:36:57 Uhr über

Donnerstag

Ich werfe mich gerade in meine Wohnung, schmeiße die Tür hinter mir zu und drücke mich dagegen. Ein Mob schenkungswütiger Nikoläuse in rotem filz ist hinter mir her, mich mit weihnachtlichen Artikeln zu bombardieren. Ich trage Ohrenstöpsel, denn allen Orten hören meine geschundenen Ohren den Lärm, den man landläufig Weihnachtslieder nennt. Meine Augen schmerzen, nicht nur von Lametta und Blinkeblitzesternen, sondern auch von den Vorführungen in denen 4- jährige Mädchen in knappen roten Röckchen und dämlichen Mützen auf dem Kopf, an denen weiße Bommeln baumeln, herumtanzen und angegafft werden, von sabbernden Greisen und Jungpaedophilen, die abwechselnd Gebotsschilder in die Höhe halten, um die Wette bieten und am Ende alle glücklich heimgehen mit einem ganz besonderen Geschenk an sich selbst.
Ich denke mit Graus an den dämlichen Budenzauber, den Bratapfelterror und die vielen Jahrmarktsschreier, die sich dazwischendrängen und so tun, als hätten auch sie ein weihnachtliches Anliegen. Ich habe Mitleid mit den kräftigen, stolzen, jungen Männern, die von ihren Freundinnen und Gattinnen hineingezogen werden in die Christmas Zone, die dümmlich lächeln, über alles was die Liebste sagt, in der Hoffnung, der Kelch möge so schneller an ihnen vorüber gehen. Man liebt sich ja schließlich und kann und darf nicht nein sagen, wenn der Partner einen Anfall von Kitschsucht bekommt.
Es schaudert mir bei dem Gedanken, beim zwanghaften Geschenkekauf jemanden zu übergehen. Die holde Weihnachtswiderwärtigkeit!
So sitze ich zitternd vor meiner Wohnungstür, versuche den Horror zu vergessen, der dort draußen seit Monaten wütet, und schätze mich glücklich hier, im letzten Domizil des gesunden Menschenverstandes.
Ich streife die Schuhe von meinen Füßen und versuche mich zu beruhigen, als mich die Türglocke nach oben schrecken lässt. »Sie haben mich gefundenist mein erster Gedanke, »die verrückten Weihnachtsheinze sind da und werden mich mit Paketen, Päckchen und Gebäck steinigenDa klopft es auch schon hinter mir. Sie sind schon hier oben, jemand anderes muß sie ins Haus gelassen haben. Ganz mucksmäuschenstill recke ich mich empor, um einen Blick durch den Spion zu werfen. Doch der man der da kam war gar nicht der Weihnachtsmann, sondern... jemand anderes. Beinahe hätte ich mich vom Bart täuschen lassen, aber seit wann trägt der Nikolaus einen Turban?
Er ist allein, meine Peiniger und Verfolger waren zu dritt. Er trägt eine Sporttasche über der Schulter, auf der groß »Amerikanisches Hilfspaket« zu lesen ist. Etwas seltsam wie ich meine, vielleicht ein Bettler oder ein Flüchtling, auf der Suche nach Arbeit. Noch einmal klopft es. Dabei ruft er: »Hallo, ist jemand zu Hause
Ich zucke mit den Schultern. Wer weiß welcher Teufel mich reitet, als ich ihm öffne. Vielleicht ein Anfall von Karitativsucht? Er sieht mich an, aus seinen weit hervorspringenden Augen, die den Anschein erwecken, er hätte Millionen und Abermillionen von Dollar nur für Marihuana ausgegeben. Wenigstens zwei Flugzeugladungen voll.
Ich sehe ihn fragend in sein rätselhaftes, schweigendes Gesicht. »Sie wünschen,« verlange ich zu wissen. Er schweigt. Ich strecke meinen Kopf hinaus in den Hausflur und sehe mich erst einmal um, ob einer meiner neugierigen Nachbarn zuhört. Doch außer den üblichen Familientragödien ist dort nichts zu hören. Ich fasse ihn an die Schulter und ziehe ihn sicherheitshalber hinein. Schon wegen der eventuell noch auftauchenden Nikoläuse.
Er entzieht sich augenblicklich meiner Berührung tritt aber dennoch ein.
Wir nehmen Platz an meinem Küchentisch. Er verlangt nach Tee, dem ich ihn bereitwillig gebe, in einem Anfall unchristlicher Nächstenliebe. »Verdammtdenke ich, »hoffentlich will er mir nicht irgendeine Weltuntergangsreligion verkaufen
Er schweigt sich zu seinem anliegen noch die ganze Tasse über aus. Vielleicht wollte er auch nur etwas zu trinken.
Gerade als ich ihm erzählen möchte, dass ich zu tun hätte, weswegen er doch bitte gehen solle, beginnt er in seiner Tasche zu kramen. Er zaubert einen durchsichtigen, verschweißten Folienbeutel und eine Kalaschnikow hervor. Bevor ich darauf, mit einen gekonnten Hechtsprung aus seinem Einzugsbereich heraus, reagieren kann, legt er beruhigend seine alte faltige Hand auf meine. Als ich mich gelassen zeige, zieht er die Hand sofort zurück und kräuselt sich statt dessen den Bart.
Er sei einer der drei weisen aus dem Morgenland auf der Suche nach dem Messias. »Na klardenke ich mir, »und ich bin ein verrückter, selbstmordgefährdeter Flugzeugentführer, auf dem Weg nach NYUm diesen offensichtlich verwirrten Mann nicht unnötig zu reizen, immerhin hat er ein Maschinengewehr, frage ich ihn lediglich, was er dann hier wolle, ob der Messias nicht in Palästina geboren würde, warum er alleine komme und wo denn die Geschenke seien.
Er nickt verständig und ich zucke zusammen als er dabei über seinen Schießprügel streichelt.
Sie seien tatsächlich zu dritt in Palästina gewesen, doch scheint es, aufgrund einiger unterschiedlicher religiöser Anschauungen, dort zu Handgreiflichkeiten gekommen sein. Menschen aus dem Morgenland, so sagt er, seien dort nicht willkommen. Er erzählt mir auch, er wäre als einziger entkommen, hätte aber das Gold und die Myrrhe zurücklassen müssen. Er habe es einer palästinensischen Familie überlassen, die dort in einem Stall hausen musste, seit das israelische Militär deren Haus in die Luft gesprengt hat. Bei der Erwähnung des gesprengten Hauses lächelt er wieder so ungewöhnlich. Weihrauch, so meint er, hätten sie von Anfang an nicht gehabt. Ich vermute eher, sie haben ihn unterwegs in ihren Wasserpfeifen verraucht. Er fährt allerdings damit fort, er habe etwas besseres und verweist auf den durchsichtigen Beutel mit der Aufschrift »Biohazard«. Wo hat man denn davon je gehört. Die drei Könige kommen und bringen Gold, Anthrax und Myrrhe?
Naja, als er mir dann anbietet, ich könne ja mal davon kosten, ziehe ich doch vor lieber in meinem Schrank zu verschwinden. Das mag ungewöhnlich anmuten, doch nur wenn man nicht weiß, dass hinter meinen Schranktüren sich ein Wäschelift befindet, der mich nach Dystar, die Unterwelt bringt. Gewöhnlich schicke ich meine Dreckwäsche dorthin, wo sie von freundlichen dämonen gewaschen wird. Inzwischen hat sich dieser Transfer jedoch etwas eingeschränkt. Wozu gibt es Frauen?
Ich stürze also hinein und hoffe unten zu sein, bevor die Erreger sich verteilen. Nun ist all das nur zur Hälfte ein mechanisches Transportmittel, denn Dystar ist höchst organisch und biomechanisch. Ich bewege mich also durch mehrere vaginaartige Schleusen und frage mich ob der Schleim der danach an mir haftet eine Art Vorwäsche darstellt. Unten angekommen werde ich in so etwas wie einen überdimensionalen Einkaufswagen gekippt. Ich denke ich bin gerettet, bis ich diesen bestimmt fünf Meter breiten Koloß auf mich zuwalzen sehe, aus dessen amorphen Körper zwei Fangarme züngeln. Er ist teilweise mit einer weißen Substanz überzogen und gibt grunzende Geräusche von sich. Im letzten Moment erkenne ich, das es sich dabei um die Wäscherin handelt. Das verbessert meine Lage nicht wirklich, denn ihr scheint es egal was sie in ihre gigantischen Maschinen wirft. Auch die Rufe der freundlichen, grünen Dämonen, die um sie herumtanzen, sie solle einhalten mit ihrem tun, scheinen die alte Vettel nicht zu bremsen. Ihre fetten Arme, nein es sind tatsächlich ihre Finger, greifen nach mir und sie drückt mich an ihre gigantischen Brüste (Körbchengröße ZZ). Ich glaube zu ersticken und wimmere in mich hinein. Ehe ich mich frei strampeln kann, lande ich auch schon in der Wäschetrommel. Neben mir liegen die Segeltuchunterhosen des Weihnachtsmann, erkennbar an dem Namensschildchen am Bund (S. Claus) und den aufgedruckten Rentieren. Auch noch Kochwäsche! Ich stelle mich auf eine heiße Achterbahnfahrt ein und glaube fest daran, es geht mit mir zu Ende. Da öffnet sich die Luke noch einmal. An den braunen Streifen erkenne ich: noch mehr von Santas Feinrippwäsche. Mit Mühe und Not quetsche ich mich an den Fettwülsten der Alten vorbei und lande irgendwo in der Dunkelheit. Es ist feucht und riecht unangenehm. Weiter vorn entdecke ich Licht. Ich bewege mich vorsichtig darauf zu. Der Untergrund ist weich und glitschig. Der Geruch scheint von der Flüssigkeit auszugehen. Das Licht wird heller und ich erkenne die Beschaffenheit der Umgebung. Es scheint Haut zu sein. Eine schlimme Ahnung drängt sich mir auf, die sich bestätigt als ich den Bauchnabel der Wäscherin erreiche. Eine nicht zu verachtende Population Kresse hat sich dort angesiedelt und fristet dort sein nicht zu verachtendes Dasein. Mit der Menge an Biomasse, die hier vorhanden ist, könnte man ganz Eritrea für die nächsten 80 Jahre ausreichend mit Nahrungsmitteln versorgen. Ich überlege mir, ob man die Sturzbäche von Schweiß, die zwischen den zahllosen Speckfalten fließen, nicht reinigen und für die Trinkwasserversorgung einsetzen könnte.
Mit einem gewagten Sprung mache ich mich auf in die Tiefe. Vorbei am unsäglichen Terror ihres Unterleibs, lande ich weich auf ihren Füßen, rolle mich ab und laufe davon.
Der nächste Ausgang der sich mir bietet ist eine, glücklicherweise, rein mechanische Membran. Dahinter erstreckt sich ein dunkler, langer, runder gang aus Wellblech. Meine Schritte platschen in feinem, feuchten Sand. »Es könnte auch Schnee seindenke ich mir. Die Geräusche hallen von überall her wider. Leuchtendes Moos ermöglicht mir eine halbwegs klare Sicht, allerdings ist nichts berauschendes zu erkennen, außer ein paar Pilzen, die zwischen dem Moos sprießen. Ein Lufthauch weht aus einer vergitterten Luke an der Decke. Ich höre entfernt das Geräusch eines Leierkastens. Er spielt eine Schräge Version von »Jingle Bells«. Das ist genug, Panik ergreift mich, ich stürme los! Der Gang läuft immer gerade aus, er steigt ein wenig an. Zu spät erkenne ich, dass die Musik in dieser Richtung lauter wird. Mir fallen die Ohrenstöpsel wieder ein, die ich mir zu diesem Zwecke zulegte und krame sie aus meiner Hosentasche. Nachdem ich sie angebracht habe, renne ich weiter. Nach etwa einer viertel stunde erreiche ich erschöpft eine Tresortür.
Mit letzter Kraft reiße ich sie auf. Dahinter führt eine Leiter in einem Rohr nach oben. Durch mehrer kleine, kreisförmig angeordnete Löcher an der Decke fällt Licht - ein Kanaldeckel.
Ich klettere nach oben und möchte lauschen. Doch wage ich nicht meine Ohrenstöpsel herauszuziehen. Zu tief sitzt die Angst. Mit letzter Kraft, nach soviel Rennen und Klettern kein Wunder, stemme ich also den Deckel zur Seite und krieche nach oben. Ich atme die Kalte Luft ein und erstarre. Es riecht nach Weihnachtsgebäck. Erschrocken blicke ich mich wieder um. Ich liege mitten zwischen den ach so schmucken Weihnachtsmarktbuden. Alle scheinen in Betrieb zu sein, doch etwas fehlt. Nach einem Moment des Grübelns fällt es mir auf: Wo sind die Menschen?
Ich laufe von Gasse zu Gasse, um mich herum Buden und Stände mit Stollen und Lebkuchen, Bratäpfeln und gebrannten Mandeln. Töpfereierzeugnisse, Schmuck und Glühwein, gemeinhin auch als der letzte Rettungsanker der Dezemberzeit bekannt.
Ich klettere in den Stand und kippe ein paar Tassen des süßen Gesöffs nach hinten. Es beruhigt mich zumindest für den Augenblick. Da klopft jemand auf meine Schulter.
Als ich mich umdrehe sehe ich die drei Weihnachtsmänner. Hinter ihnen steht der letzte der Weisen aus dem Morgenland. Sie lachen alle vier diabolisch und der eine spricht zu mir. Ich schraube vorsichtig einen der Ohrenstöpsel heraus, um ihn zu verstehen. Im Hintergrund läuft allgegenwärtig »Stille Nacht«. Der Nikolaus sagt zu mir: »Mein Name ist Owie!« Er lacht dabei, als sollte mir das etwas sagen. Ich habe nur ein müdes Lächeln über für abgedroschene Weihnachtswitze. Als die erhoffte Reaktion also ausfällt, zuckt er mit den Schultern und spricht weiter: »Gewöhne Dich an den Anblick, Du bist ab sofort Gefangener der Christmas Zone! Dies ist ein Ort stetiger Vorweihnachtszeit. Für den Rest Deines Lebens wirst Du hier verweilen müssenIch frage, ob das ein schlechter Scherz sei und doch sie schütteln in plötzlichem Ernst den Kopf. Dann holen sie Geschenke aus ihren Säcken und bewerfen mich damit. Panisch renne ich. Das tu ich nun seit langer Zeit. Da sich hier nie etwas verändert, weiß ich nicht wie lange. Doch es ist die Hölle. Inzwischen sehne ich mich sogar zurück an die Brust der Wäscherin. Ich weiß nicht wie lange ich all die Pfefferkuchen, Pumpernickel und Waffeln noch ertrage. Wäre ich doch nur zu meinen Eltern gefahren...



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