Es gibt ein sogenanntes »Dogma der Molekularbiologie«. Es wurde von Crick, einem der Entwirrer der Doppelhelix, formuliert und besagt in etwa: Der Informationsfluss in der lebenden Zelle verläuft immer von den Genen zu den Proteinen, niemals umgekehrt. Der genetische Code wird also genutzt, um - nach einigen Zwischenschritten - aus Aminosäuren komplexe Proteine zu synthetisieren, aber die Aminosäuresequenz eines Proteins nicht, um aus Nukleotiden einen DNS-Strang zusammenzubauen, der sich eben selbst ohne wesentliche fremde Hilfe repliziert.
Ich verstehe ja nicht, warum das Ding »Dogma« getauft wurde: Entweder es ist so oder es ist nicht so oder man weiß es nicht genau. Im letzteren Fall könnte man es dann als Arbeitshypothese bezeichnen. Den vierten Fall, dass man es nämlich für so seiend erklärt, ist eine Spezialität der Theologie, die mit der Unsicherheit und dem Unwissen aufgrund seines eminenten Ausmaßes nicht zurecht kommt und es daher wegdiktiert. Vielleicht hat das ganze auch nur mit einer gewissen Hybris der Molekularbiologen zu tun, die ihrem Forschungsgegenstand eine besondere Würde und ihren Erkenntnissen Tiefe geben wollen, indem sie sich in die Nähe der Theologie rücken. Es könnte natürlich die Theologen ärgern, dass eine biochemische Gesetzmäßigkeit, fern vom Geiste in jeder Form, von ihren modernen Erzfeinden, den Molekularbiologen, mit einem ihrer Lieblingsbegriffe gesegnet wird. Dann hätte dieses Dogma der Biologen, das man überall sonst nüchtern als bisher nicht falsifiziertes Naturgesetz bezeichnen würde, ein raffiniertes Doppelgesicht aus Numinosem und Provokation in einem, ein immer funktionierendes Werkzeug für das Wissenschaftsmarketing. Letztlich besagt das Dogma ja nur, dass man bisher nie einen fischessenden Menschen beobachtete, der Fische als Kinder geboren hat.
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