Moblogging
Mario Sixtus 01.08.2003
The next Big Thing?
Die Diskussion über Journalismus im Zeitalter der Weblogs ist noch verhältnismäßig
jung und bis Dato immer noch ohne greifbares Ergebnis, da wird ihr schon aus dem
fernen Osten gänzlich neues Futter zugeführt. »Moblogging« heißt das Buzzword der
Stunde: Weblogs sollen künftig nicht nur mittels PC und Tastatur, sondern auch - von wo
auch immer - mittels webfähigen Mobilfunkgeräten befüllt werden. Wird demnächst
jeder Handy-Nutzer zum rasenden Reporter oder hat das Sommerloch 2003 lediglich
endlich seinen Medienhype gefunden?
Montag, 23. Juni 2003. Sämtliche japanische TV-Kanäle kennen nur ein Thema: Bei einer
schweren Auto-Karambolage auf dem Tomei-Expressway im Aichi-Amtsbezirk haben sich
durch die Unaufmerksamkeit eines übermüdeten LKW-Fahrers zwölf Autos ineinander
verkeilt und teilweise Feuer gefangen. Von vier Toten und zahlreichen Schwerverletzten wird
berichtet. Die ersten Bilder vom Unglücksort, die über die japanischen Bildschirme flimmern,
stammen allerdings weder von einem Kamerateam, noch von einem Hubschrauber: Ein
unbeteiliger Autofahrer war vielmehr mit seinem Kamerahandy vor Ort, wurde live auf
Sendung geschaltet und übermittelte die grobpixeligen Videobilder seines Sprechgerätes
direkt in Japans Wohnzimmer.
Marschiert da eine neue Form des Hich-Tech-Voyeurismus auf uns zu? Durch die Medien
legitimiert und als Berichterstattung getarnt? Gibt es bei Unfällen und Katastrophen des 21ten
Jahrhunderts bald halbprofessionelle Gaffer, die Videostreams in Irak-Qualität an
Fernsehsender, auf ihre Weblogs oder schlicht an ihre Lieben daheim übertragen? Oder
handelt es sich beim mobilen Publizieren um einen weiteren Schritt in Richtung
Demokratisierung der Medien? Wird hier der Jeder-ist-ein-Sender-Gedanke der Weblogs
schlicht in die Realwelt verlängert und darf hier fleißig weiter am Hierarchien-Fundament der
alten Medien herumsägen? Viel Stoff für die Discussion-Boards allemal.
Mobiler Journalismus
Anfang Juli fand in Tokio (wo sonst?) die erste Moblogging-Konferenz, die 1IMC statt. Wie
nicht anders zu erwarten, zeigten sich Teilnehmer und Vortragende überzeugt davon, bei der
Geburtsstunde einer Medienrevolution dabei zu sein.
Adam Greenfield, Initiator der Tagung und Erfinder des Begriffs Moblogging, zeigte sich
denn auch überzeugt, dass "sämtliche Barrieren, die das Publizieren mittels
Desktop-Publishing mit sich bringt, beim Mobloggen einfach verschwinden". Er fand das
»sehr aufregend«. Noch euphorischer äußerte sich Takashi Totsuka, Präsident von Sonys
Contents and Applications Lab: "Dieses kleine, aber interessante Medium birgt auch ein
Geschäftspotenzial in sich. Moblogging-basierter Journalismus enthält die Merkmale einer
durchschlagenden Technologie." Und er verstieg sich vor seinen Zuhörern gegenüber zu
einem: »Vielleicht könnt Ihr die nächsten Bill Gates oder Steve Jobs sein.«
So etwas vernahmen die 150 anwesenden Early-Adaptors natürlich gerne (und nicht
unerwähnt sollte in diesem Zusammenhang die Tatsache bleiben, dass Sony zu den Sponsoren
der Konferenz gehörte). Aber was ist wirklich dran am beweglichen Veröffentlichen?
Dass ausgerechnet Nippon zu den Vorreitern im Moblogging gehört, kommt nicht von
ungefähr: Im asiatischen Inselstaat ist traditionell das Handy und nicht der Desktop-PC das
Standardzugangsgerät zum Internet. Nach wie vor finden sich dort ausgesprochen wenig PCs
in Privathaushalten, was zum einen daran liegt, dass die Problematik des Eingabegerätes noch
nicht zufriedenstellend gelöst wurde - durchschnittlich benötigt ein Japaner 3.000
Schriftzeichen - andererseits ist der Wohnraum dort derart knapp bemessen, dass nur Wenige
die Lust verspüren, diesen durch das Aufstellen eines
Computer-Drucker-Monitor-Konglomerats noch weiter zu beschneiden. Von daher war das
Netz für die Inselbewohner schon seit eh und je eine mobile Angelegenheit - und das Füttern
von Weblogs mit Texten und Bildern aus dem Mobiltelefon ist nur eine logische Konsequenz
dieses Zustands.
Das erste überlieferte Handy-Posting fand im Januar 2001 seinen Weg in das
Geschichtsbuch des Mobloggings. Zwar von japanischem Boden aus, allerdings darf sich
mit dem Briten Stuart Woodward ein alter Europäer die virtuelle Pionier-Nadel des
Unterwegs-Textens anstecken.
Zur intellektuellen Unterfütterung des Phänomens trat dann unter Anderem der Zukunfts- und
Medienforscher Howard Rheingold aufs Parkett, der in seinem Buch Smart Mobs auch auf
die gesellschaftlichen Implikationen von mobilen Web-Zugangsgeräten hingewiesen hatte. In
Bezug auf die Moblogging-Konferenz sagte er:
Moblogging ist einer der führenden Indikatoren, die wir beobachten müssen,
während die neue Mediensphäre langsam Form annimmt. Da die Gewinner und
Verlierer des Zeitalters der mobilen Medien noch nicht feststehen, bietet die
Ungewissheit in dieser Situation auch eine Gelegenheit. Von sachkundigem Handeln
wird es in naher Zukunft abhängen, wie diese, im Entstehen begriffene Medienkultur
sich in den nächsten Jahrzehnten entwickelt - oder wie sie scheitern wird.
In seinem Buch beschreibt Rheingold unter Anderem, wie Globalisierungsgegner mobile
Technologien nutzen, um sich spontan und unvorhersehbar zu Demonstrationsgruppen
zusammenzufinden und tatsächlich: Bei den Skeptikern des weltweiten Handels findet sich
auch ein Anti-G8-Moblog.
Moblogging als Rettungsanker für MMS?
Ein paar weitere Freunde und Unterstützer aus dem Gegenlager dürfte das mobile Bloggen mit
Sicherheit bereits gewonnen haben: Die europäischen und amerikanischen
Mobilfunkkonzerne. Nach dem WAP-Desaster droht die als SMS-Nachfolger angekündigte
MMS-Technologie, mit deren Hilfe sich auch Fotos und kurze Videosequenzen von Handy zu
Handy verschicken lassen, zum Rohrkrepierer zu werden. Zwar erfreuen sich die bunten
Kamera-Handys wachsender Beliebtheit, doch auch aufgrund der zum Teil horrenden
Übertragungsgebühren beschränken sich die meisten Nutzer offenbar auf das altmodische
Knipsen-und-Ankucken, statt die Bildchen für teures Geld durchs Netz zu jagen. Dumm
gelaufen.
Schon wird laut darüber spekuliert, ob Moblogging vielleicht sogar der Rettungsanker für
MMS sein könnte, schließlich könnte dadurch zumindest der so genannte "Fax-Effekt'
abgemildert werden, der den Wert eines MMS-Handys in Grenzen hält, so lange es nicht
ausreichend Empfangsgeräte in Freundeshänden gibt.
Wie auch immer: Außer den Übertragungsgebühren für Bild- und Videonachrichten dürfte es
noch eine weitere Hürde geben, die von Telefonkonzernen und Geräteherstellern seit Jahren
gleichermaßen ignoriert wird: Die Handy-Tastatur. Abgesehen von den vermutlich bereits
daumenmutierten Vertretern der »Generation SMS« dürfte niemand größere Lust verspüren,
längere Texte in die Zehnertastatur seines Mobiltelefons zu tippen. Und noch besteht
Journalismus im Web vor allen Dingen aus Text - und zum Glück nicht nur aus Bildern.
Einige Wochen nach Ende der Konferenz beschreibt ein Teilnehmer seine Erkenntnisse dann
auch so:
One thing became apparent. Moblogging as it is, is a great feature of mobile
phones and web publishing. It isn't however the next big thing. It's not gonna make
you millions and its not going to change the world. One of the things I kept
overhearing was '..and this is my day job'.
Kommentare:
»wir gaben ihnen nur das werkzeug« (Lord_HAP, 1.8.2003 3:10)
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last modified: 30.07.2003
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