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kontextslow schrieb am 14.7. 2003 um 03:44:00 Uhr über

Diskontinuität

Das Denken ist nicht baumförmig, und das Gehirn ist weder eine verwurzelte noch eine verzweigte Materie. Die zu Unrecht so genannten »Dendriten« stellen keine Verbindung von Neuronen in einem zusammenhängenden Gewebe her. Die Diskontinuität der Zellen, die Rolle der Axonen, die Funktion der Synapsen, die Existenz synaptischer Mikro-Fissuren, der Sprung jeder Botschaft über diese Fissuren hinweg, machen aus dem Gehirn eine Mannigfaltigkeit, die auf ihrer Konsistenzebene oder ihrer Glia in ein ungewisses System von Wahrscheinlichkeiten eingebettet ist, unt@ertain nei-t,oiis system. Vielen Menschen ist ein Baum in den Kopf gepflanzt, aber das Gehirn selbst ist eher ein Kraut oder Gras als ein Baum. »Axon und Dendrit sind umeinander gewunden wie eine Ranke um einen Brombeerstrauch, mit einer Synapse an jedem Dom13 Das gilt auch für das Gedächtnis... Die Neurologen und Psychophysiologen unterscheiden zwischen einem Langzeit- und einem Kurzzeitgedächtnis (in der Größenordnung von einer Minute). Die Differenz ist allerdings nicht nur quantitativ: das Kurzzeitgedächtnis gehört zum Typus Rhizom oder Diagramm, während das Langzeitgedächtnis baumartig und zentralisiert ist (Abdruck, Einprägung, Kopie oder Photo). Das Kurzzeitgedächtnis hängt nicht von einem Gesetz der Kontiguität oder Unmittelbarkeit seines Gegenstandes ab. Es kann sich entfernen und viel später kommen oder wiederkehren, aber immer unter der Voraussetzung der Diskontinuität, des Bruchs oder der Mannigfaltigkeit. Mehr noch, beide Gedächtnisformen unterscheiden sich voneinander nicht nur als zwei zeitgebundene Wahmehmungsweisen derselben Sache. Es ist nicht dieselbe Sache, es ist nicht dieselbe Erinnerung, und es ist auch nicht dieselbe Idee, die sie beide auffassen. Der Glanz eines schnellen Einfalls: man schreibt mit dem Kurzzeitgedächtnis, also mit kurzen Ideen, aber man liest lange Entwürfe immer mit dem Langzeitgeächtnis. Das Kurzzeitgedächtnis schließt das Vergessen als Prozeß it ein; es ist nicht mit dem Augenblick, sondem mit dem kollektiven, eitlichen und nervlichen Rhizom verbunden. Das Langzeitgedächtnis Familie, Generation, Gesellschaft oder Zivilisation) kopiert oder bersetzt, aber was es übersetzt, wirkt in ihm weiter, aus der Distanz, ur Unzeit, »unzeitgemäß«, indirekt.
Der Baum oder die Wurzel rufen ein trauriges Bild des Denkens
ervor, das - von einer höheren Einheit, einem Zentrum oder Seg-
ent ausgehend - immer wieder das Mannigfaltige imitiert. Und sächlich spielt der Stamm, wenn man die Gesamtheit von Zweigen nd Wurzeln betrachtet, für eine dieser Unter-Einheiten, die von unten ach oben durchlaufen werden, die Rolle eines gegenläujigen Seg-


3. Steven Rose, The Cotis(-ious Bi@aiii, New York 1975, S. 76: über das Gedächtnis vgl. 185-219.

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ments. Ein solches Segment ist ein »Verbindungsdipol«, schied zu »Einheitsdipolen«, die strahlenförmig von eine Zentrum ausgehen. 14 Aber auch wenn die Beziehungen si einem Wurzelsystem vermehren, man kommt doch niemal Eins-Zwei und den nur vorgetäuschten Mannigfaltigkeite Auch Regenerationen, Reproduktionen, Umkehrbewegunge und Medusen helfen uns nicht weiter. Baumsysteme sind hi und haben Zentren der Signifikanz und Subjektivierung Automaten, die als organisiertes Gedächtnis funktionier erhält in den entsprechenden Modellen jedes Element seine tionen immer aus einer höheren Einheit, und subjektive gehen nur von bereits bestehenden Verbindungen aus. Das w aktuellen Problemen der Informatik und der elektronisch recht deutlich, die so sehr an den ältesten Denkformen festh die Macht an ein Zentralorgan oder Gedächtnis delegiert einem interessanten Artikel entlarven Pierre Rosenstiehl Petitot »die Bilderwelt der Befehlsbäume« (zentrierte Syst hierarchische Strukturen). Sie schreiben: »Wenn man hier Strukturen das Primat zugesteht, läuft das auf eine Privilegi Baumstrukturen hinaus. ( ) Die Baumfonn läßt eine topolo klärung zu. ( ) In einem hierarchischen System duldet ein 1 nur einen einzigen aktiven Nachbarn, und zwar einen in der übergeordneten. ( ) Die Übertragungskanäle sind von festgelegt: die Baumform geht dem Individuum voraus, da bestimmten Stelle eingefügt wird« (Signifikanz und Subjekt Die Autoren weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dann, wenn man eine Mannigfaltigkeit zu erreichen gla falsch sein kann (was wir als System von Nebenwurzeln be


14. Vgl. Julien Pacotte, Le i-iseau ai-boi-esi-ent, s(-h@me pi-inio@-dial de la 1936. In diesem Buch werden die verschiedenen Schemata der Baumform a entwickelt, die nicht als bloßer Formalismus dargestellt wird, sondem a Grundlage des formalen Denkens». Es treibt das klassische Denken auf di nimmt alle Formen des «Eins-Zwei", der Theorie des Dipols auf. Der Ges Stamm-Wurzei-Zweige ergibt das folgende Schema:


Segment Gegen



in jüngerer Zeit hat Michel Serres Arten und Sequenzen von Bäumen schiedensten wissenschaftlichen Bereichen analysiert: wie der Baum von e ausgehend entsteht (La Ti-adu@tion, Paris 1974, S. 27ff. (demnächst deuts signaux de bi-iime, Paris 1975, S. 35ff.).



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