Die erste Diktaturerfahrung meines Lebens erfuhr ich mir mit einem asthmatischen Strich-Achter Diesel-Benz auf der Rückfahrt von einem total chaotischen Trip nach West-Berlin im Jahre 1984. Völlig übermüdet und relativ niedrigem Blutgehalt im THC tuckerte ich über die Transitstrecke gen Westen, orientierte mich stets an »Helmstedt«. Irgendwann kam ein Schild: »Marienborn«. Da sollte man rechts abfahren. Marienborn ? Nie gehört ! Also weiter geradeaus. Und ich fuhr und ich fuhr und ich fuhr. Die Transitstrecke, die ganzen Autobahnen im Osten, die sind heute noch stinklangweilig. Es geht stur geradeaus und damals war überall Tempo 100 - dem Erich zuliebe.
Jenun. Da kam ein Schild »Leipzig 23 km«. Da fuhr ein jähes Entsetzen durch meine Eingeweide und ich ward hellwach. Leipzig 23 km ? Ich war nicht nur dabei, sondern mittendrinn im Arbeiter- und Bauernstadl, endlos weit abgekommen von der Transitstrecke !
Kalter Schweiß trat mir auf die Stirn - wir waren ja mitten im Kalten Krieg ! Was tun ?
Rastplatz ! Erst mal runter von der Bahn, in der Karte genau nachgucken: Wo bin ich ?
Und da stand dann auch schon ein Wartburg von der VoPo, und die Uniformierten lugten argwöhnisch zu mir herüber. Logisch irgendwo: ein Mercedes mit Westnummer, kurz vor Leipzig ! Und wieder packte mich die Angst. Die haben schon auf mich gewartet ! Die haben mich garantiert schon aus der Luft überwacht !
Da gibt's nur eines: Flucht nach vorne !
Ich ausgestiegen, auf die VoPos zugegangen - und in der Tat, das Fenster war schon heruntergekurbelt, als ich vor dem Wartburg stand, und ich sprach die goldenen Worte:
»Guten Tag, ich bin ein Bürger der BRD, der sich illegal in der DDR aufhält!«
»Woss ?? Soogensä däss nomah !«
»Wie bitte?«
Und da warense schon draussen. Ausweis, Papiere, wort- und gestenreiche Erklärungen. Ich wußte schon, was ich tun würde: einfach immer nur verlangen, mit der Ständigen Vertretung der BRD Kontakt aufnehmen zu dürfen ! Sonst würde ich nichts preisgeben, Garnichts !
Die VoPos bedienten ihr Funkgerät. Ebenfalls eine längere Diskussion, wie es schien, und ausserdem auf russisch, wie es sich anhörte. Logisch: ich war so sensationell wichtig, daß sie nicht erst bei Mielke oder Honecker anriefen, sondern gleich bei Breschnew ! Leipziger Sächsisch hört sich eben für ungeübte Ohren manchmal wirklich komisch an.
»Steigense in Ihr Fahrzeug ! Wir bringen Sie zur Grenzübergangsstelle !«
Und so tuckerte ich weiter über die volkseigenen Autobahnen, vor mir ein 311er Wartburg als Eskorte, und konnte die DDR als freier Bundesbürger wieder verlassen !
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