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Das Arschloch schrieb am 24.11. 2005 um 12:24:39 Uhr über

Die-unbeschreibliche-Peinlichkeit-des-Kackens

Zur Entstehung von »Der diskrete Charme der Bourgeoisie (DCB)« schreibt Bunuel in »Mein letzter Seufzer«:

»Wir suchten nach einem Vorwand für eine sich wiederholende Handlung, als [Produzent] Silbermann uns etwas erzählte, was ihm passiert war. Er hatte Leute zu sich zum Essen eingeladen, sagen wir an einem Dienstag, vergaß aber, es seiner Frau zu erzählen, und vergaß außerdem, dass er selbst an diesem Dienstag zum Essen eingeladen war ... Man brauchte das nur weiterzuentwickeln, sich verschiedene Szenen auszudenken - ohne der Wahrscheinlichkeit allzuviel Gewalt anzutun - , in denen eine Gruppe von Freunden Gelegenheit zu einem gemeinsamen Essen zu finden versucht, was ihr aber nicht gelingt«.

Damit ist eigentlich die Geschichte von DCB erzählt, die keine echte Dramaturgie, keinen echten Handlungsstrang notwendig aufeinanderfolgender szenischer Ereignisse besitzt.

Hauptfiguren des Stückes sind der Botschafter des südamerikanischen Fantasiestaates Miranda, das mittelalterliche Ehepaar Thevenot, ihre ewig beschwipste und gelangweilte Tochter Florence und die junge Senechal. Sie versuchen sich ständig gegenseitig zum Essen einzuladen, was aber stets an dem einen oder anderen Grunde scheitert oder gestört wird.

Erste Episode ist die von Bunuel oben selbst beschriebene Geschichte Silbermans; die so versetzten Gäste beschließen in einem nahegelegenen »restaurant informelle« zu speisen. Als man gerade bestellen will, vernehmen sie Schluchzen aus dem Nebenraum und müssen feststellen, dass dort der soeben verstobene Besitzer des Restaurants aufgebahrt ist. Derart den Appetit verdorben, rückt die Gruppe hungrig wieder ab.

Die folgende Szene spielt in der Botschaft Mirandas, bei der die Herren Thevenot und Senechal das vom Botschafter auf einen seiner letzten Reisen geschmuggelte Kokain in Empfang nehmen. Man nimmt selbstredend die Gelegenheit wahr, sich nochmals für den nächsten Samstag zum Essen zu verabreden. Bevor der feine Botschafter sich als mieser, kleiner Drogendealer entlarven darf, kann er ein wenig Südamerika-Rambo spielen, als er vor seinem Fenster eine junge Frau entdeckt: er holt sein Gewehr und legt auf die Frau an mit der Begründung, sie gehöre einer südamerikanischen Terrorgruppe an.

Beim Essen am nächsten Samstag erscheinen gleich beide Gastgeber nicht, weil sie von Geilheit getrieben beschließen, erst einmal übers Fenster auszusteigen, um in aller Ruhe im Garten Sex zu haben. Zurückgekommen sind die Gäste, die sich mit ein paar Dry Martinis, »dem bürgerlichsten aller Drinks« (Bunuel) selbst unterhalten haben, bereits wieder abgezogen. Dort treffen sie allerdings auf den Bischof, der sich verwirrenderweise um die vakante Stelle des Gärtners bewirbt und diese schließlich auch bekommt.

Die folgende Szene spielt in einem Cafe, in der sich die drei Damen verabredet haben. Auch hier klappt nichts: der Tee und auch der Kaffee sind »aus«, und so beschließen sie Leitungswasser zu bestellen. Bevor sie sich wieder verabschieden stellt sich Ihnen ein Leutnant vom Tisch gegenüber vor, der den Damen seine Kindheit erzählt: nach dem Tod seiner Mutter hätte die Tote ihn aufgefordert seinen Vater zu vergiften, eine Bitte, der er gerne nachgekommen sei, da sein Vater ihn in ein Militärinternat abgeschoben habe.

Im Anschluss wieder einmal eine Verabredung, diesmal zum Ehebruch zwischen dem Botschafter und Mdm. Senechal. Auch die wird gestört ... durch den Ehemann selbst, der auch dann keinen Verdacht schöpft, als seine Frau aus dem Schlafzimmer des Botschafters spaziert. Nachdem die Senechals die Wohnung verlassen haben, darf die Terroristin, die laut Aussage des selbstgefälligen Botschafts-Machos »besser für die Liebe als für den Krieg gemacht ist«, wieder mal einen Anschlagsversuch unternehmen, den der Botschafter nicht Ernst nimmt.

Bei der nächsten Einladung im Hause der Thevenots ist gerade die Vorspeise serviert als der Colonell, der sich gerade im Manöver befindet, sich mit seiner Brigade im Hause breitmacht. Auch er wurde natürlich erst »morgen erwartet«. Das Dinner wird zur Feldspeisung, nicht bevor der Colonell ein paar Marijuanatüten herumgereicht hat und ganz hip und hippielike erklärt, Weed sei keine Droge. Auch die Brigade hat keine Zeit zum Essen, da sie ins Manöver gerufen wird. Zuvor darf jedoch der bereits bekannte Leutnant seinen Traum erzählen: dort sei er bereits verstorbenen Freunden auf der Straße begegnet. Der Traum endet mit der Suche des Leutnants nach seiner Mutter. Als Revanche für die Bewirtung lädt der Colonell die Gruppe am nächsten Freitag zum Essen ein.

Die folgenden Szenen werden alle als Traumsequenzen aufgelöst, wobei der Unterschied zwischen Traum und Wirklichkeit immer mehr verschwimmt. Die Situationen enden stets mit einer Katastrophe: Mord, Totschlag und Folter.

Das Essen beim Colonell: Die servierten Hähnchen sind aus Plastik und auch der Gastgeber läßt sich nicht blicken. Schließlich öffnet sich ein Vorhang und die Gruppe befindet auf einer Theaterbühne. Fluchtartig verlassen alle den Raum, da sie »ihren Text vergessen haben«. Aufgelöst wird die Szene als Traumsequenz Monsieurs Thevenots.

Die Cocktailparty: dort wird der Botschafter von allen Seiten in gar nicht diskreter und höflicher Weise auf die chaotischen Zustände seiner Heimat angesprochen (Drogenhandel, Studentenunruhen, Sterblichkeitsrate, Wirtschaftsflaute). Er kann sich der Anwürfe nicht erwehren. Schließlich kommt es zum Streit zwischen dem Botschafter und Monsieurs Senechal, in dessen Verlauf der Botschafter Senechal erschießt.

Aufgelöst wird die Szene als Traumsequenz Monsieurs Senechals.

Die Todesbeichte des Bischofs: Als der Bischof gerufen wird, um einem Sterbenden die letzte Beichte abzunehmen, wird er gewahr, dass es sich bei dem Sterbenden um den Mörder seiner Eltern handelt. Er nimmt ihm die letzte Beichte ab und erschießt ihn anschließend kurzerhand mit einer Schrotflinte.

Diese Szene wird nicht als Traum explizit aufgelöst.

Im Gefängnis: nachdem die gesamte Gruppe bei einem Dinner vom Kommissar verhaftet wird, darf sie die ganze Nacht im Gefängnis verbringen. Dort erzäht ein Polizist vom Bloody Sergeant. Der Bloody Sergeant sei ein Polizist mit grausamen Verhörmethoden gewesen: Folterungen gehörten zu seinem Repertoire wie Gesetzesbrüche. Am 14. Juni sei er bei einer Demonstration erschossen worden, weswegen dieser Tag als Bloody Sergeant Day begangen werde. An diesem Tag käme der Sergeant als Untoter zurück, um sich an den Gefangenen zu rächen.

Diese Szene wird als Traum des Kommissars aufgelöst.

Aufgewacht von seinem Albtraum wird der Kommissar vom Innenminister angewiesen, die inhaftierte Gruppe umgehend freizulassen. Obwohl er durch Fluglärm nichts von der Konversation versteht, folgt er der Anweisung.

Der Anschlag: Wieder mal beim Abendessen wird die Gruppe von drei mit Maschinengewehren gewaffneten Eindringlingen überrascht und erschossen. Nur der Botschafter hatte sich unter dem Tisch verstecken können, wird aber doch entdeckt als er in seiner Gier nach einem Stück Fleisch auf dem Tisch greift.

Diese Szene wird als Traum des Botschafters aufgelöst, der daraufhin seine Verwirrung in einem kräftigen Nachtmahl erstickt.

Der Film endet mit einer immer wieder über den ganzen Film verstreuten Sequenz, in der die Gruppe auf einer Straße ziellos wandernd gezeigt wird.

Einziger roter Faden des Films sind die Rituale des Essens und Trinkens der gegenseitigen Einladungen und deren Störungen oder deren Nichtzustandekommen. Dadurch wirkt DCB wie ein Episodenfilm ohne eigentlichen Spannungsbogen. Umgesetzt hat Bunuel diese mit einem guten Schuss Schwarzen Humors und mit genialen französischen Schauspielern. Es zelebriert sich eine Klasse der Bourgoisie dort selbst in immergleichen Ritualen ohne Ziel und Kraft.

Durch ihre ritualisierten Stereotypen werden die Personen ständig der Lächerlichkeit preisgegeben. Die Hohlheit der Rituale, die hilflose Oberflächkeit ihres gegenseitigen Umgangs sind derart normal, dass sie einfach lächerlich wirken.

Lächerlich allein ist der Umstand des ständigen Scheiterns der Treffen: nicht ein einziges Mal kommt die Gruppe zu einem gemütlichen Mahl zusammen, nicht ein einziges Mal wird das vollendet, was vorbereitet ist. Diese ständige Nicht-Erfüllung macht den Zuschauer nervös, zumal die Charaktere darüber überaus non-chalant hinwegsehen (man versucht es halt »a prochaine foi«).

In den Träumen und Erinnerungen brechen die großen Katastrophen über die Protagonisten herein, die sie im realen Leben als »kleine Missverständnisse« abtun. Sie scheinen nicht groß darunter zu leiden.

Einzig in den Träumen wird tacheles geredet, werden die Personen entlarvt. Die Träume enthalten keine Visionen oder Sehnsüchte, sondern illustrieren die Schattenseite ihres Daseins. Doch anstatt darüber entsetzt zu sein, nimmt man halt noch einen Dry Martini oder stopft sich einen kalten Braten zwischen die Kiemen. Man ist ja gerettet, es war nur ein Traum. Aber Bunuel ist gemein: der Unterschied zwischen Träumen und Realität verschwimmt »zusehends«, manche Träume sind auch Erinnerungen. ... wir können einfach nicht sicher sein, die nächste Katastrophe lauert schon ...


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