Deutschland: Eine Kulturnation verwaltet sich zu Tode
Deutschland nennt sich noch immer eine „Kulturnation“, als wäre das ein Naturgesetz, ein unverrückbares Faktum. Goethe, Brecht, Bauhaus, Krautrock – das sind die toten Ahnen, die immer wieder als Beweis für kreative Größe angeführt werden. Doch das Problem mit Toten ist: Sie produzieren nichts mehr.
In Wahrheit ist Deutschland längst zur Verwaltungsmaschine für Kulturförderung und Mittelmaß verkommen. Ein Land, das Kunst nicht mehr als Störung begreift, sondern als Antrag, als Ausschussentscheidung, als „Projekt mit gesellschaftlichem Mehrwert“. Eine Nation, die es geschafft hat, den Begriff „Kulturwirtschaft“ so ernst zu nehmen, dass er zur Selbstbeschreibung wurde: Kunst als Dienstleistung, als abwägendes, wohltemperiertes, abgerundetes Produkt für eine Zielgruppe, die bloß nicht verstört oder verärgert werden soll.
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Der deutsche Film: Zwischen Behördendeutsch und Selbstverliebtheit
Deutscher Film? Ein Desaster. Eine Industrie, die sich in staatlichen Förderungen eingerichtet hat, als wäre Kreativität eine Subventionsmaßnahme. Während in Südkorea, Frankreich oder den USA Regisseure und Drehbuchautoren neue Narrative austesten, erzählt der deutsche Film die immergleichen Geschichten:
• Tragikomödien mit Morallektion.
• Betroffenheitskino über Deutschlands dunkle Vergangenheit.
• Fernsehproduktionen, die aussehen, als hätte eine Sparkasse sie finanziert.
Radikalität? Fehlanzeige. Komödie? Immer mit dem unterschwelligen Bedürfnis, aufzuklären, zu sensibilisieren, pädagogisch wertvoll zu sein. Kein Wunder, dass Netflix und HBO dominieren, während ARD und ZDF ihre eigenen Produktionen mit Boomer-Dialogen und uninspirierter Bildsprache sabotieren.
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Die Literatur: Wo ist der neue Skandal?
Deutschland hatte einmal literarische Giganten: Thomas Mann sezierte die Dekadenz der Bourgeoisie, Heinrich Böll rieb sich an der Bundesrepublik, Elfriede Jelinek (okay, Österreicherin, aber dennoch) zerschoss mit ihrem Stil jede Erwartungshaltung.
Und heute?
• Eine Buchpreislandschaft, die sich selbst für relevant hält, aber außerhalb ihrer Blase niemanden interessiert.
• Romane, die wichtig sein wollen, aber dabei vergessen, gut zu sein.
• Das Feuilleton, das lieber lobt, als zu kritisieren, weil man sich in der Branche ja kennt.
Es gibt keine literarischen Skandale mehr. Keine Autoren, die sich mit der Gesellschaft anlegen. Kein Ulysses, kein American Psycho, keine kompromisslose Avantgarde. Stattdessen: Literatur als wohldosierter Diskursbeitrag, verpackt in handhabbare 250 Seiten, mit einer klaren Botschaft für alle, die sie verstehen wollen.
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Musik: Pop ohne Risiko, Hip-Hop ohne Hunger
Deutschlands Musikszene lebt in zwei Extremen:
1️⃣ Schlager und Radiopop für die saturierte Mitte der Gesellschaft. Songs mit Texten, die man auch mit einem IQ von 85 verstehen kann, poliert bis zur Unkenntlichkeit, von der immergleichen Maschinerie aus Komponisten und Produzenten erstellt.
2️⃣ Deutschrap als Karikatur seiner selbst. Zwischen austauschbarem Autotune-Trap und verkopftem „politischem“ Rap, der sich selbst wichtiger nimmt als sein Publikum.
Wo ist der neue Wahnsinn? Das unkontrollierte Chaos? Der neue Punk? Wo sind die Leute, die sich gegen das System auflehnen, statt von seinen Strukturen zu profitieren? Musik in Deutschland ist entweder Produkt oder Kommentar – aber nie mehr Störung.
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Theater: Selbstverliebt und irrelevant
Theater war mal eine Kampfzone. Heute ist es eine Beamtenlaufbahn.
• Regisseure inszenieren für andere Regisseure.
• Dramaturgen schreiben Programme, die das Stück wichtiger nehmen als es ist.
• Das Publikum ist entweder ohnehin überzeugt oder gar nicht erst da.
Kein Clash, keine Provokation, keine Unkontrollierbarkeit. Stattdessen eine Szene, die sich selbst auf die Schulter klopft, weil sie den „Diskurs anregt“. Als wäre Theater ein Seminarraum, nicht eine künstlerische Kriegserklärung an den Status quo.
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Die große Lüge: Deutschland will keine Kultur, sondern Unterhaltung mit Bildungsauftrag
Das Problem ist nicht, dass es in Deutschland keine Künstler gibt. Es gibt sie. Sie kämpfen. Sie existieren in Nischen, in Untergrundclubs, in kleinen Galerien, in Subkultur-Parallelwelten.
Das Problem ist: Diese Stimmen werden ignoriert.
Denn Deutschland will keine echte Kultur.
Es will keine Kunst, die wehtut.
Es will keine Musik, die wirklich wütend ist.
Es will keine Literatur, die zensiert gehört.
Es will kein Kino, das verstört.
Es will keine Theaterstücke, die die Menschen zum Rausgehen zwingen.
Deutschland will Kultur, die man aushalten kann.
Und genau deshalb ist es keine Kulturnation mehr.
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Fazit: Mittelmaß als Nationalästhetik
Während in anderen Ländern Kulturszenen explodieren, ist Deutschland ein Verwaltungsstaat der Ästhetik geworden. Ein Land, das Kultur erlaubt, organisiert, subventioniert – aber nicht mehr wirklich erträgt.
Die einzigen echten Künstler in Deutschland?
Diejenigen, die längst woanders hin sind.
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