Die politische Sorge um die Menschenrechte, auf denen immerhin die deutsche Verfassung beruht, wurde als eine Art Störfall an den zivilgesellschaftlichen Sektor abdelegiert. Seither versagt Deutschland fortwährend darin, wahrnehmbaren Widerstand gegen exterritoriale Menschenrechtsverletzungen zu erzeugen. Aber wer, wenn nicht das Land der Holocaust-Täter, hätte eine moralische Pflicht, den Kampf gegen Genozid, Menschenrechtsverletzungen und Unrechtsregime offensiv zu führen? Der Kampf um Menschenrechte war zu allen Zeiten nur eines: lebensgefährlich. Die Geschwister Scholl wurden vom NS-Regime hingerichtet, weil sie sechs Flugblätter gegen Hitler verteilten. Mandelstam kostete ein Gedicht gegen Stalin zunächst die Freiheit, später das Leben. Russische Dissidenten werden heute in Fahrstühlen exekutiert. Chinesische Oppositionelle vegetieren in Gefängniszellen dahin. Im Kongo verschleppt der Geheimdienst Menschenrechtler, die dann „versehentlich“ sterben. Dennoch hat sich historisch gesehen eine Sensation ereignet: in Deutschland ist es schwierig geworden, für sechs Flugblätter, Bücher oder Gedichte verfolgt, verhaftet oder ermordet zu werden. Eine Million Flugblätter bringen eher den Literaturnobelpreis als den Tod ein. Erstmals in der deutschen Geschichte ist es möglich, den Kampf um Menschenrechte vor und in aller Öffentlichkeit zu organisieren. In den westlichen Staaten sind alle Repression gegen Menschenrechtler weggebrochen. Das wiedervereinigte Deutschland müsste und könnte ein Eldorado für Menschenrechtsbewegungen sein. Für die verfassungsmäßigen Rechte, die diese Aktivitäten garantieren, ist viel Blut geflossen. Während die Freiräume geschaffen, die Gesetze verabschiedet, die Druckereien, öffentlichen Plätze und Zeitungen vorhanden sind, fehlt eigentlich nur eines: die Menschenrechtler selbst.
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