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Ich schlage Dir folgendes philosophisches Experiment vor (Arno Schmidt nennt es LG, 'längeres Gedankenspiel'): Stell Dir vor, Du regiertest als unumschränkter Herrscher in einem Reich, egal, ob es die Ausmaße einer Hollywoodvilla, eines Zwergstaats oder der Welt hat - wichtig ist, dass Du völlig autonom bist und sämtliche bislang geltenden Regeln und Gesetze in Deinem Reich zumindest für Dich außer Kraft gesetzt sind. Um die Sache zu vereinfachen, blenden wir irgendwelche 'Untertanen', die es zu erziehen, führen, regulieren gölte, einfach aus. Es geht eigentlich nur um das Bild maximalen Potentatentums und größtmöglicher Freiheit des eigenen Willens, ausgestattet mit Mitteln und Personal in verschwenderischer Fülle. Und jetzt wäre meine Frage: Was von all den Dingen auf dieser Welt, die reglementiert, verboten, tabuisiert, zugriffsbeschränkt sind, würdest Du Dir in Deiner Allmacht erlauben, fern aller gängigen Normen und Gesetze für Dich anders zu entscheiden, als es derzeit breiter Konsens ist? Für mich sähe die Sache so aus: Ich hätte einen umfangreichen Nutzgarten und ein Laboratorium, das ausschließlich mit der Erzeugung von Drogen aller Art ist. Ich würde gar nicht einmal alle selbst nehmen wollen, mich vielleicht gar auf ein paar Hanfhybriden und südamerikanische Rankengewächse beschränken, doch ich würde die Resultate meiner Forschungen an interessierte Freiwillige ausgeben und mir als einzige Gegenleistung die filmische Dokumentierung der Ersteinnahme erbitten. Auf die Art käme über die Jahrzehnte ein Archiv an Triperfahrungen zusammen, ähnlich wie Spielbergs Shoa-Archiv, ich stelle mir auch einen künstlerisch entsprechend ausgestalteten Raum vor, in dem diese Großdokumentation gezeigt wird. Die Besucher wiederum könnten bei der Führung wiederum selbst unter Drogen gesetzt werden, vielleicht auch eine Art Doppelblindversuch, jede zweite Eintrittskarte ist lsd-getränkt... Ok, das war der erste Teil meiner Vision, praktisch eine Kreuzung aus Leary und Mengele...
Dann wäre mein Reich auch ein Paradies für Genforscher - mehrenteils natürlich im hehren Dienst des Menschheitswohls, unermüdlich damit befasst, Mittel gegen die drei Geißeln AIDS, Krebs und Schweinegrippe zu entwickeln. Auch Gemüse ohne Geschmack und Fleisch ohne Tiere zu entwickeln wäre ihre Aufgabe; doch gäbe es auch eine Spezialabteilung, die ausschließlich zum Vergnügen des Herrscherhauses forscht und auf diesem Weg bereits einen kleinen Privatzoo von Chimären und Fabelwesen geschaffen hat (Prunkstück der Sammlung ist mein 'Wonderland-Zoo', der Märchenwelt Lewis Carrolls nachgebildet. Hier treffen die staunenden Besucher aus aller Welt auf sprechende Tigerlilien, Babyferkel und Jabberwockys aus Fleisch und Blut, ein Dino Park im Geiste des Jefferson Airplane.
Tja, und dann muss ich zu meiner Schande gestehen, dass überall auf meinen Anwesen erlesene Exemplare der Gattung Mensch zwischen etwa 9 und 70 Jahren und meist männlichen Geschlechts in Phantasieuniformen jeglichen Zuschnitts herumlaufen, mit dem einzigen Zweck, mich durch die Präsentation lebender Bilder, Maskenspiele und gewissen antiken Kulten nachempfundenen Spielhandlungen zu erfreuen.
Und eins steht fest: Ein Herrscher schläft niemals allein, er wollte es denn.
Ja, viel mehr fällt mir nicht ein. Es versteht sich von selbst, dass auch ein Herrscher nur dreimal am Tag essen kann, ich persönlich komme sogar mit deutlich weniger aus. Auf jeden Fall kommt in meinem Denken, selbst wenn ich es noch so sehr von der Leine lasse, nicht ein einziger Mensch vor, der auch nur eine Miene des Mißfallens zur Schau trägt. Das ist vielmehr alles eine Art paradiesischer Übereinkömmlichkeit im Geiste, eine wissende Unschuld, die - aber ich schweife ab. Was mir jedenfalls wichtig ist festzuhalten, ist, dass es in meinem psychedelischen Serail kein Kellergeschoss mit de Sade'schen Gulaschmaschinen gibt, auch keine Exekutionsplätze für die Bösen, die Anderen, die Feinde, kurz, das Fremde, nein, keine Höllenkreise, wozu?
Aber ich würde behaupten, dass ein relativ hoher Prozentsatz der Menschen, ich würde ihn mal auf mindestens 30 % der Männer und 15 % der Frauen schätzen, wenn ihnen diese Möglichkeit zur Machtausübung geboten würde, mit Vergewaltigung, Folter, Mord reagieren würden - vielleicht liegt der Prozentsatz in anderen Weltgegenden sogar höher. Im Blaster jedenfalls lässt sich diese Zahl auch wiederfinden, wenn man die Menge der Einträge zu Themen wie Flagellantismus, Päderastie und Tierquälerei betrachtet. Diese Leute sind es, die am Ende die Träume der restlichen in Schach halten, die im Auftrag der wirklichen Herrscher andere einsperren und für Ehrbegriffe, die nicht einmal ihre eigenen sind, in Kriege ziehen. All diese unterdrückerischen Menschen, die nicht einmal gelernt haben, frei zu träumen, ohne zu Monstern zu werden, ihnen ist dieser Kelch gewidmet.
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