Tag. Ja, äh... Also ich wollte ‚Im Reich der Sinne‘ erzählen, abreißen, das ist ein erotischer Film. Ich wollte eigentlich zuerst ‚Die linkshändige Frau‘ erzählen, aber der Axel hat mir verboten, mit Puppen zu arbeiten, und jetzt erzähle ich also ‚Im Reich der Sinne‘.
Also, die erste Szene spielt im Schlafraum eines Bordells mit Restaurationsbetrieb. Die blutjunge und sehr schöne Sada liegt morgens wach, sie kann nicht schlafen oder nicht mehr schlafen, und wird sexuell von einer Kollegin bedrängt. Und sie biegt das nochmal so ab, und dann gehen die zusammen auf die Toilette und beobachten dann im Haupthaus, wie der Herr des Hauses, der Kichiko, von seiner Frau den Schurz angelegt kriegt und, ja direkt auch wieder ausgezogen kriegt, und die beiden haben dann Verkehr und Sada und die Kollegin beobachten das, und Sada ist dann auch sehr erregt.
Dann, in der zweiten Szene geht das Personal zusammen einkaufen, auf den Fischmarkt oder so, und da liegt dann ein alter, betrunkener Mann in der Gosse; seine Kleidung ist verrutscht, und die kleinen Kinder, die mit sind, werfen Schneebälle auf sein Schamteil und Sada erkennt den Mann, der Mann erkennt Sada; Osaka, Tokyo, irgendwo hat er sie schon einmal gesehen, und er lauert ihr dann auch abends, später als sie nach Hause kommt, beim Dunkelwerden auf und bittet sie, ihm ihr Dreieck zu zeigen, und sie »Jaa, wenn‘s denn sein muß«... und hebt enspannt, also natürlich aber doch unwillig den Rock hoch, und der alte Mann versucht zu masturbieren dabei, und sie: »Pff, das gibt aber so nichts, ist wohl zu kalt, gehst jetzt besser.«
Sie geht auch rein, in die Küche, und in der Küche wird sie dann von ihrer Personalchefin dumm angemacht weil sie eben zu spät kommt: »Ach, ehemalige Prostituierte, taugt ja nichts«, und dann kriegt sie Streit mit dieser Chefin, greift zu einem Küchenmesser, Riesenaufruhr, und in dem Moment kommt Kichiko, also der Mann, Anfang 40, sehr viril für einen Japaner, auch relativ groß, so 1,75 oder so, der kommt also rein mit einer Kabuki–Dachsmaske und einem Lampion angetanzt, es ist gerade Lampionfest, irgendwann Anfang Februar, kommt er also nach Hause und sieht sie da so stehen im Furor und sagt dann zu ihr: »Du solltest auch lieber was anderes in die Hand nehmen als ein Messer«, und damit sind dann die Bahnen auch so‘n bißchen vorgegeben.
Nächste Szene: sie am bohnern, morgens, also diese großen langen Tatamibahnen am bohnern, und er kommt jedenfalls von hinten und singt dann ein Lied, die singen die ganze Zeit anspielungsreiche Lieder aus dem japanischen Volksliederschatz, das ist in dem Fall ‚Achtet auf das Feuer‘ (Melodie aus der Edo-Zeit), also er singt ‚Achtet auf das Feuer‘ und greift ihr dabei in die Vagina, sie schreit allerdings dabei auf und in dem Moment kommt dann die Personalchefin rein: »Nee hier, arbeiten jetzt!«, geht also zu dem Zeitpunkt nicht.
Darauf hin bestellt er sie dann - er ist ja praktisch Herr im eigenen Hause, also im Bordell, bestellt sie also ins Separée, und sie »Ach wie, Sie sind der Gast?« »Ja, ich bin der Gast, Überraschung, ne?« Ja, und er faßt sie wieder an und singt dabei wieder ein Lied, das ist, glaube ich, älter, ‚Wohin führt der schmale Pfad?‘ heißt das Lied, und diesmal kommen die auch eigentlich schon ziemlich weit so insgesamt; aber in dem Moment tritt dann Yaehi, die alte Geisha auf. Yaehi ist schon sehr alt, und dann gibt das wieder nichts. Aber irgendwann klappt das dann auch im Laufe der Zeit, ich überlege grade, wann...Eigentlich ziemlich bald. Ja, ich hänge ein bißchen, weil es sind sehr viele Szenen hintereinander in diesem Film.
Ah, ich glaub, ich bin jetzt so ungefähr wieder da. Also jedenfalls, Sada ist sehr dahinter her, immer in der Nähe des Herrn zu sein und irgendwann geht sie dann wieder frühmorgens auf die Toilette und so von unten greift er ihr dann an die Fessel, und sie »Ach, hoher Herr, Sie schon wieder« und SCHNITT - und nächste Szene und dann sind sie im Bett. Und sie sagt dann »Herr, das ist jetzt schon der dritte Tag hintereinander«, und man merkt also, es sind schon einige Tage vergangen.
Sie wird praktisch eifersüchtig auf die Frau, also die richtige Frau von Kichiko und sagt: »Ach, nachher treibenSie es sicher wieder mit Madame - das werde ich zu verhindern wissen!«, und es kommt eine Fellatioszene, eine sehr lange, die vielleicht einige von euch auch in Erinnerung haben: Sada befriedigt Kichiko, der dabei eine Zigarette raucht, ihr die Haare krault, und zu guter Letzt sagt: »Du bist aber ein merkwürdiges Mädchen.« Vergleichsweise profan, aber sehr schön.
Ja, und das geht dann auch immer irgendwie so weiter, immer manischer, irgendwann sagt sie geradezu erstaunt: »Sag mal, wieso steht er Dir eigentlich immer wieder?« und er: »Ja, weil Du immer Lust auf mich hast!« Und das ist dieser tödliche Automatismus, da sollten wir auch mal drüber nachdenken...Nein wirklich: was wäre wenn.
Also, die Situation wird zunehmend ungut, aufgeheizt, wenn die beiden mal getrennt sind kriegt sie sofort einen völligen Rappel. Da ist dann zum Beispiel eine sehr schöne Szene wo sie mit einem Mann, der aussieht wie Hermann Hesse, es ist ein Abgeordneter und Schuldirektor, ein ehemaliger Kunde, zu dem sie nochmal geht um ein bißchen Geld zu verdienen- sie und Kichi brauchen immer Geld für die Liebeshotels in die sie reisen - ja, sie liegt jetzt neben dem Mann, neben Hermann Hesse praktisch, und der, wie der erste Mann wieder, überhaupt nichts, Polen zu, Frankreich offen, er liegt da, sie weiß auch nicht so recht, was sie mit ihm anfangen soll, und plötzlich bricht‘s aus ihr raus: »Schlag mich! Zieh mich an den Haaren! Mocho! Mocho! Feste, kräftig!« und wunderbar, tatsächlich, es funktioniert auf einmal. Und da wird ihr klar, daß sie das auch immer gesucht hat.
Sofort nach Hause zu Kichiko und ausprobieren, würgen, schlagen, der ganze Mechanismus, es steigert sich immer mehr raus... ääh, rein... raus... ja, und ganz zu guter Letzt, die Außenwelt dringt von außen rein es ist 1936, es ist der Krieg in der Mandschurei, der japanisch–chinesische Krieg; die Außenwelt tritt praktisch nur in Gestalt von Soldaten Regenfällen und ähnlichen Häßlichkeiten auf, sie wollen praktisch nur noch sich selber und intensivieren auch ihre Würgerituale, die also auch nur funktionieren können, wenn Sada ihn würgt; und die letzten 20 Minuten des Films schildern dann drei Würgerituale: ein normales, eins mit Fesselung und dann das letzte, wo sie ihn bittet, ihn doch auch umbringen zu dürfen, was er ihr dann auch gestattet.
Sie will ihn nämlich ‚pochend spüren‘, wie sie immer wieder sagt, sie betont es, die Strangulation führt zum Pulsieren der Rute, ganz enorm, erzählt sie; genau das probieren sie eben aus - es kommt tatsächlich wie es kommen muß: er ist tot und sie wacht dann neben ihm auf, ist jetzt auch gar nicht so großartig bestürzt und schneidet ihm dann den Lolli ab, und die Hoden auch, und schreibt ihm dann so auf den Bauch mit Blut ‚Kichiko Sada futari‘, also ‚Kichiko und Sada für immer‘, und ein Abspann informiert uns dann, daß die reale Sada 1936 vier Tage mit dem abgeschnittenen Penis ihres Geliebten durch Kobe gelaufen ist und bis heute in Japan eine heiligmäßige Verehrung genießt (was ich verstehe).
Der Film ist sehr, sehr wichtig, sehr schön, und das sieht man auch daran, daß er bei mir im Schrank auf Kassette 114 zusammen mit ‚Soylent Green‘ und ‚Leoparden küsst man nicht‘ steht, und...das war‘s.
mcnep, Protokoll einer Nacherzählung von ‚Im Reich der Sinne‘ (Regie Nagisa Oshima) beim 1. Festival des nacherzählten Films, Düsseldorf 1999
http://www.total.recall.org
|