Ich muss ständig denken. Nicht etwa über »normale« Dinge nachdenken, sondern über mich, mein beschissenes kleines Leben über das wie und warum. Ich habe immer gesagt:» In meiner Geschichte bin ich der Held«. Solange das der Fall war, war meine Welt auch noch relativ in Ordnung. Vor allem ist es auch eine gute Ausrede für die meisten Lebenssituationen, und solche Ausreden brauchte ich. Misslang mir etwas, war nichts einfacher, als zu sagen:»Na und, wen interessierts, ist doch meine Geschichte und da bin ich der Held«. Jetzt ist meine Heldengeschichte kaputt! Sie hat genau so lange funktioniert, wie ich alleine der Held meines Lebens war. Ich hatte nicht damit gerechnet, daß es in dieser Welt noch einen anderen Helden gibt und das dieser ausgerechnet in meiner Geschichte eine Rolle spielt. Nennen wir die Dinge beim Namen: Der andere Held ist natürlich eine Heldin, und sie will in meiner Geschichte überhaupt keine Rolle spielen. Deshalb muss die Heldengeschichtentheorie falsch sein, denn zwei Helden sind doch besser als einer.
Wenn ich so über diese, oder eine andere, Situation nachdenke, mag sie noch so chaotisch sein, gehe ich (genauer gesagt mein Verstand geht, ich bin dann nur Beobachter ohne Rechte) logisch vor. Ich habe Fakten und Variablen, die, in die richtige Reihenfolge gebracht, zwangsläufig eine Lösung ergeben müssen. Das Problem liegt in den Variablen, denn diese wiederum bestehen auch aus Fakten und Variablen und diese Variablen..... irgendwann wird es einfach kompliziert. Ja, ich habe nun Aufgrund der Variablen also mehrere Lösungen zur Auswahl, mein Verstand sortiert diese, wieder ohne mein Zutun, nach Wahrscheinlichkeiten. Frei nach Sherlock Holmes ist dann die Lösung, die auf der Liste ganz oben steht, mag sie noch so unglaublich klingen, die Richtige. Mein Verstand ist aber dann noch nicht fertig mit seinen automatisierten Handlungen. Die als Richtig anerkannte Möglichkeit wird so fest integriert, das sie für mich glaubhaft erscheint, und wird als Tatsache anerkannt. Damit lässt mich mein Verstand wieder alleine. So lange die nun als »Tatsache« vorliegende Möglichkeit meinen Wünschen und Vorstellungen entspricht, ist alles i.O.. Selten ist das aber der Fall. Normalerweise widerspricht diese Möglichkeit sogar in allen Einzelheiten meinen Wünschen und Vorstellungen. Genau dann bin ich an einem Punkt angelangt, an dem Verstand und Gefühl sich trennen, womit wir beim Hauptproblem wären. Ich habe lange Zeit gebraucht, um zu erkennen, warum es mir in solchen Situationen so schlecht geht. Es ist dann ein nicht näher definierbarer geistiger Schmerz in mir, der echte körperliche Schmerzen auslöst. Durch das Wissen um die Variablen, und die Möglichkeit des Irrtums einerseits, und durch das »eigentlich Sicher sein« andererseits, werden so komplizierte Gedankengänge ausgelöst, daß diese unweigerlich zu Kopfschmerzen führen müssen. Aus irgendeinem Grunde höre ich auf zu Essen (das ist nichts Negatives, sondern hat mir innerhalb eines Jahres eine 35kg Diät erspart), und ich denke teilweise bis zur Schmerzgrenze über Sinn und Zweck all dieser Dinge nach. Wer jetzt Mitleid mit mir bekommen hat, irrt sich gewaltig. Das ist ja das Eigenartige, ich brauche diese Schmerzen offensichtlich. Ich könnte ohne diesen Zustand nicht mehr leben. Das Problem ist, ich kann auch mit diesem Zustand nicht leben. Vielleicht warte ich nur auf den Tag, an dem Verstand und Gefühl sich vollständig vereinigt, oder die größtmögliche Entfernung zueinander erreicht haben.
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