(Demystifikation ist ein probates Mittel zur Überwindung ungünstiger selbstreferentieller Seelenzustände. Oft trägt ein näheres Kennenlernen des Objekts eigener Projektionen durch selbständiges Agieren zur Demystifikation seiner selbst bei. Allerdings leider nicht immer.)
Sie hatte sich wirklich verliebt. Der schnuckelige Kellner aus der Bar gegenüber begann in ihren Halbschlafphasen morgens und abends ein Eigenleben zu führen. Oft stand sie in ihren Schlangenlederimitatstöckelschuhen am Fenster und schaute hinüber, um einen Blick auf sein perfektes Äußeres zu erhaschen. Wie er hieß, wußte sie nicht, geschweige denn, was er -- abgesehen von seiner äußeren Gestalt -- sonst für ein Mensch war. (Meist korrespondiert ja ein attraktives Äußeres mit einem unattraktiven Inneren, wobei der Umkehrschluß, wie sie sich am Beispiel des Tretbootvermieters vor Augen führte, nicht zulässig ist: ein unattraktives Äußeres korrespondiert in der Regel nicht mit einem attraktiven Inneren. Aber das führt jetzt zu weit...) Sie hatte es langsam satt, an einer fiktiven Gestalt zu leiden. Es mußte etwas geschehen! Und zwar idealerweise eine rasche und gründliche Demystifikation: Sie mußte ihn kennenlernen, ihn reden hören, feststellen, wie dämlich und langweilig er ist.
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