manfred spies : »Anschläge«
als ich vor etwa einer woche das buch von manfred spiess
mit dem titel »Denkanschläge«, erschienen 1980 im
päd.extra buchverlag, bensheim, deutschland, isbn 3-921450-87-x
blaetterte und fotos von den plakaten sah, die manfred spiess ueber
laengere zeit in der duesseldorfer innenstadt und an anderen
plakatwaenden in deutschland gestaltete auf bei einer
plakatgesellschaft gemieteten waenden, dachte ich, dass dies
doch auch moeglich sein sollte fuer mich und andere menschen
hier und ueberall in der zivilisationsgesellschaft:
alleine oder zusammen mit anderen plakatwaende mieten und dort
philosophische, spirituelle, politische oder sonstwie
bewusstseinserweiternde inhalte kommunizieren. als beitrag
zum ethischen fortschritt unserer gesellschaft.
ich koennte mir zum beispiel vorstellen,eine plakatwand
in der naehe einer bank mit dem violetten spruch:
»wo geld gehortet wird, stirbt das leben« zu bemalen
und darunter in rosa »zins ade, schulden gestrichen, geld fuer alle«
zu schreiben. oder einige innovative hersteller von konfitueren,
sirupen, getrockneten tomaten usw. aus kontrolliert biologischem
landbau mieten eine wand neben einem supermarkt und schreiben:
"handgekochtes gemuese aus kontrolliert biologischer landwirtschaft
oder
maschinengekochte genmanipulierte soja aus chemisch-synthetischer
landwirtschaft
?"
oder:
plakate von und fuer alle
warum:
die freie meinungsaeusserung fuer alle meinungen
aller in einer gemeinde lebenden menschen jederzeit¨
ueberall zu foerdern.
was: meinungskundgebung auf plakatwaenden
finanziert von der gemeinde, betreut von einer
initiativen einwohnergruppe
finanzierungsargumentation:
forderung der bevoelkerung gegenueber der gemeinde,
allen einwohnern einen ort zur schriftlichen
meinungsaeusserung anzubieten als umsetzung
des gesetzlich versprochenen
rechts auf freie meinung.
ein paar einwohner setzen sich zusammen an einen
runden tisch und ueberlegen sich einen petitions
-oder initiativtext, geben sich einen namen wie z.b.
"einwohnerInnen von oberschlafdorf fuer freie
meinungsaeusserung immer und ueberall ( eofmiu )"
und gehen mit diesem petitions-/initiativtext auf
die strasse, um unterschriften zu sammeln:
"wir, die nachfolgend unterzeichneten, bitten den
gemeinderat, von den gemeindesteuern einen beitrag
zu verwenden fuer das mieten von 3 plakatwaenden
im dorfkern/in der stadtmitte. auf diesen waenden
duerfte dann jeder in diesem dorf/dieser stadt
lebende mensch, der aelter als 3 jahre ist,
fuer jeweils einen tag diese plakatwand mit
farbe, papier und leim frei zu gestalten.
die reihenfolge der benuetzerinnen und benuetzer
wird durch das alphabet festgelegt.
die initiativgruppe dieser aktion "einwohnerInnen
von oberschlafdorf fuer freie meinungsaeusserung
immer und ueberall ( eofmiu )" wuerde sich verpflichten,
zu kontrollieren, dass an dem tag, der fuer das plakat
von herrn mueller reserviert ist, auch nur dieses plakat
dort haengt und am naechsten tag das plakat von
der naechsten einwohnerin in der alphabetischen
reihenfolge ueberklebt, uebermalt, entfernt wird.
sofern herr mueller und die ihm in der alphabetischen
reihenfolge nachfolgenden einwohner zuvor bei der
initiativgruppe ihr interesse angemeldet haben, an
diesem fuer sie reservierten tag die so von der
gemeinde finanzierte gelegenheit zur meinungsaeusserung
zu nutzen.
die initiativgruppe wuerde jede veraenderung
auf den plakatwaenden fotografisch und teilweise auf
film dokumentieren. eine kopie dieser
fotografien und filme wuerde der gemeinde
als zeitgeschichtliches dokument uebergeben
fuer die gemeindechronik. zur einsicht fuer alle
bewohnerinnen und bewohner der gemeinde und
durchreisende.
darueber hinaus wuerde die initiativgruppe
darauf verzichten, die fotografien und filmaufnahmen
rechtlich zu schuetzen und die allgemeinheit
als geistige eigentuemer erklaeren.
das ziel dieser »plakate von und fuer alle«-aktion
ist einerseits das anregen der bevoelkerung,
sich auch mal in die rolle eines meinungsverbreitenden,
werbenden, veroeffentlichenden menschen zu versetzen
anstatt dauernd passiv botschaften anderer zu konsumieren.
andererseits koennte diese aktion, falls sie ueber laengere
zeit aufrechterhalten wird, aber auch eine moeglichkeit
darstellen, wie sich der nicht im traditionellen sinne
politisch aktive mensch oder ein nicht-firmenchef
mitteilen kann gegenueber der gesamtheit seiner
mitmenschen und speziell auch gegenueber der
regierung bzw. dem polit-zirkus.
vollstaendige meinungsfreiheit fuer alle jederzeit"
so ein brief an den gemeinderat, als petition oder initiative geschrieben,
unterschrieben von hunderten oder gar tausenden von menschen, waere
eine moeglichkeit.
eine andere moeglichkeit waere jene, die manfred spiess gewaehlt hat...
sich mit anderen kuenstlern zusammenzutun und gemeinsam die
plakatwaende zu mieten und parallel dazu einen unterstuetzungsantrag
bei verschiedenen kultur-/kunstfoerdernden institutionen zu stellen:
um seine aktionen zwischen 1976 und 1980 ein bisschen
zu beschreiben, hier ein paar ausschnitte aus dem buch:
auf seite 36, aus einem zeitungsartikel:
"Anschläge wurden fernsehreif
von Inka Siebert
Der Düsseldorfer Künstler Manfred Spies klebt
und sprüht Texte auf Plakat-Grossflächen.
Er macht das legal -die Wände hat er gemietet -
seit nunmehr 250 Tagen. Inzwischen beteiligen
sich auch andere, von seiner Idee begeisterte Künstler
an den »Anschlägen«.
Jetzt besuchte ein Fernsehteam des NDR Manfred Spies
und drehte über ihn und seine Arbeit einen Film am Ort
des Geschehens: auf der Karlstrasse und im
»Alt Derendorfer Cafe und Bierhaus«, wo Spies eine
Informations- und Dokumentationsschau zeigt.
AZ war dabei und sprach mit dem umstrittenen
Künstler.
AZ: Herr Spies, warum bezeichnen Sie auf der Einladung
zu ihrer Ausstellung Ihre Arbeiten als Anschläge ?
SPIES: Weil mir dieses Wortspiel gefällt. Einerseits
fallen alle diese Arbeiten unter den Begriff »Plakatanschlag«.
Andererseits sind einige davon optisch und inhaltlich als
Anschlag auf vertrocknete Bürgerhirne gedacht.
AZ: Stört Sie nicht, dass man bei dem Wort »Anschläge«
automatisch an Gewalt und Terrorismus denkt ?
SPIES: Mich stört, wenn man automatisch denkt!
Wenn ich in meiner Einladung zu der Ausstellung
die Menschen auffordere, auch mal andere Töne anzuschlagen,
dann bedeutet das Widerstand leisten, ungehorsam sein, Kritik
üben, sich wehren aber nicht blindwütig losballern.
AZ: In einer Ihrer früheren Erklärungen stand,
Sie gehen mit ihrer Arbeit auf
die Strasse, weil hier die Arbeit zu einem Teil der Wirklichkeit
wird, auf die sie reagiert. Wie ist das zu verstehen ?
SPIES: Sehen sie sich den Kulturbetrieb an.
Die Darbietungen im Theater, im Konzertsaal, im Museum
laufen abgekapselt vor einem elitären Publikum ab, nähmlich vor
6-9% der Bevölkerung. Wir alle bezahlen aber diese
Institutionen. Die Inhalte dieser Veranstaltungen
reflektieren- wenn überhaupt- unsere Wirklichkeit
in so individualistischer Weise, dass kaum jemand -
auch nicht der klugscheisserische Premierenbesucher
- etwas mitbekommen. Das Publikum wird in seinem Bedüfrniss
nach Sehen, Hören, Fühlen und teilnehmendem Verstehen nicht befriedigt.
Der Künstler, der nicht dies Erfahrungs- und Bedürfnissrepertoire
des Publikums und seine Erlebnis-Räume ( Wohnung, Arbeitsplatz, Strasse,
Plätze usw. ) berücksichtigt, entfernt sich von der Wirklichkeit.
Er isoliert sich. Wenn er dabei einen neuen -ismus schafft,
na wenn schon! Wem nützt das, ausser einigen Kritikern als
Schreibstoff und einigen Händlern, Sammlern und ihm selbst
finanziell ? Wenn z.B. Beuys den Kunstbegriff
erweitert, ohne den Kunstbetrieb zu tangieren, so ist das sehr
inkonsequent und ich frage mich wieder: was solls ?
Kommen wir zu den Darbietungen und Objekten, die die
Wirklichkeit deutlich und erkennbar reflektieren. Meist
sind das ja gesellschaftlich oder politisch engagierte Künstler,
die so etwas machen. Diese Dinge nun in dem üblichemn Kultraum
vor dem üblichen small-art-talk-Publikum zu präsentieren, ist
geradezu pervers. Engagierte, kritische Künstler, Musiker, Schauspieler
usw. müssen neue Formen der Präsentation und des Kontaktes
entwickeln. Ich versuche es mit den Grossflächen, die an sehr stark
frequentierten Stellen stehen und die mir ihren Formulierungen
auf die Wirklichkeit reagieren. Dabei werden sie als Bestandteil
einer Diskussion und durch ihr materiellen Vorhandensein Teil der
Wirklichkeit.
AZ: Sollten diese »Anschläge« die Wirklichkeit oder nur ihren
Bekanntheitsgrad verändern ?
SPIES: Hören Sie sich einmal die Tonbänder an, auf denen die
Reaktionen der Menschen auf der Strasse aufgenommen sind.
Die Leute sagen: " Das finde ich gut, das sind Denkanstösse.
Was da steht, macht einem nachdenklicher als die Werbung nebenan."
Andere sagen, sie seien durch meine Arbeiten ermuntert und bestätigt
worden, etwas ähnliches zu machen. Dass ist doch schon eine ganze Menge.
Der zweite Teil ihrer Frage ist typisch für die verbreitete Vorstellung,
dass man heute nichts mehr ohne Eitelkeit und Eigennutz tut. Das Bekanntwerden
der Sache ist wichtig, weil dadurch Kollegen, Freunde und Gleichgesinnte
erfahren und mein von Anfang an geäusserter Wunsch nach Beteiligung
anderer ermöglicht wird. Wenn es mir nur um meine eigene Person gienge,
würde ich als Organisator und Finanzier der Sache wohl immer meinen
Namen draufsetzen. Das war aber bei dem Gedicht von Ernst Jandl
nicht der Fall und wird auch bei der Beteiligung anderer Künstler nicht
geschehen.
AZ: Und wie reagierten die Kollegen ?
SPEIS: Spontan war die Begeisterung und Zustimmung gross. Uebrigens
auch die Bereitschaft, die Wand für eigene Anschläge zu benutzen.
Inzwischen hat sich wohl bei einigen dei Vorstellung breit gemacht,
bei einer Zusammenarbeit »nur mein Image aufzupolieren«, da die
Sache ja meine Erfindung ist. Solches Denken entspringt der gerade
in Düsseldorf grassierenden Efersucht und dem Neid vieler Künstler.
Jeder will der Grösste sein und muss natürlich die anderen klein
halten. Wenn es nicht so traurig wäre, man könnte darüber lachen:
denn diese Krämerseelen sind doch verloren und allein. Aber es gibt
natürlich daneben viele, die mitmachen würden, aber nicht können.
Das Medium Grossfläche ist ihnen einfach zu fremd. Einige werden
sich allerdings in den nächsten Wochen beteiligen. Mein Freund
Dietmar Hoffmann arbeitet gerade an einer Realisierung.
AZ: Und wie reagiert die Oeffentlichkeit ?
SPEIS:Die Reaktionen der Leute sind so enorm positiv, so interessiert und mit so viel Nachdenlichkeit und Kritik formuliert, dass ich
oft richtig glücklich bin. In welchem
Museum hat man so etwas ? Allerdings gibt es auch Personen, die mich
umbringen wollten. Na ja, meine Arbeiten sind wohl auch für die
verständlich gewesen. Es tauchen aber auch Missverständnisse auf,
die dadurch begründet sind, dass bei der ganzen Sache keiner so recht
an Eigeninitiative glauben will. Da werden ominöse Vereinigungen,
Kirchen und kommunistische Parteien als Geldgeber vermutet. Natürlich
ist es riskant, so wie ich es gemacht habe, in die oeffentlichkeit zu gehen -
zumal die Düsseldorfer Presse bisher mit keinem Wort über die Aktion berichtet
und über Zusammenhänge informiert hat. Da ist man der Spekulation und nicht
immer vorurteilsfreien Diskussion ausgeliefert. Ich werde mich weiterhin
bemühen, Vertrauen zu wecken. Das ist nötig, denn Idealisten werden heute meist
als Scharlatane oder Spinner abgetan.
(...)
auf seite 67 ein photo einer etwa 4 meter langen und 3 meter hohen plakatwand,
wo zuoberst ein band mit den farben der deutschen flagge links und rechts
vom wort »Gemeinsamkeiten« weggeht
im zentrum des plakats die worte:
" Eine Zensur
findet nicht statt
findet nicht statt
Manfred Spies"
wobei das obere »nicht« mit einem autoaufkleber »brd« halb verdeckt wird
und das untere »nicht« von einem autoaufkleber »ddr«
auf seite 66:
" Gemeinsamkeiten.
3.3.1978, Methfesselstrasse in Hamburg-Eimsbüttel
Anlässlich einer Ausstellung mit dem Thema "Zensur bei Ulrich Osterwalder
hatte ich eine Grossfläche an einer Bunkerwand zur Verfügung. Verschiedene
politische Gruppen hatten hier bereits in riesigen Lettern ihre Parolen angebracht.
An zwei Tagen in der Woche war hier Markt:
Hunderte von Menschen kauften ein, trafen sich oder informierten sich an den
Ständen, die politische Parteien aufgebaut hatten.
Die Ausstellungseröffnung wurde auch von einigen Journalisten aus Hamburger
Verlagen besucht. Nachdem sie mir ihr grosses Interesse und sogar Begeisterung
mitgeteilt hatten, fragte ich, warum sie nicht selbst aktiv werden:
"Wenn 30 von ihnen auf ein Abendessen beim Italiener verzichten, haben sie eine
Plakatwand für ein ganzes Jahr. Die können Sie selbst nutzen, Künstlern oder der
Bevölkerung zur Verfügung stellen."
»Theoretisch waren diese netten Leute «voll drauf", aber leider ist dann nie etwas
daraus geworden."
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