Woher stammt das Böse in der Welt, wenn Gott, der sie erschuf, doch unendlich gut ist? Diese entscheidende Frage, die das Christentum zeit seines Bestehens gequält und zu abenteuerlichen dogmatischen Spitzfindigkeiten veranlaßt hat, lösten die Gnostiker auf ähnliche Weise wie Alexander den gordischen Knoten: sie vollzogen, wenn man so will, eine Theotomie. Der Gott der unendlichen Güte und der Schöpfer des unausrottbar Bösen, als welches der Kosmos sich in gnostischer Sicht entpuppt, sind eben nicht ein- und derselbe; die frohe Botschaft des Heils und die Drohungen des zürnenden, unerbittlichen Gesetzgebers, sie tragen unterschiedliche Absender. Eingehüllt in tiefes Schweigen und unerreichbar fern, residiert der wahre, unerkennbare Gott in einer eigenen Äonenwelt weit außerhalb von Raum, Zeit und Materie, während dieses unser Universum und alles, was in ihm geschieht, auf einen anderen, einen Usurpator zurückgeht.
Dieser Demiurg oder oberste Archon, der völlig unmißverständlich den Gott des Alten Testamentes repräsentiert, ist ein Ignorant größten Ausmaßes. Sein Ursprung wird meist in einem unglücklichen Zwischenfall, einer momentanen Instabilität am äußersten Rand der göttlichen Sphäre gesehen; bildhaft gesprochen — und die Gnostiker sprachen so — stellt er das häßliche Produkt einer Fehlgeburt dar. Ihm verschließt sich die göttliche Lichtwelt und sein erwachendes Selbstbewußtsein entbehrt aller Hinweise auf das, was vor und über ihm ist. »Als der Archon seine eigene Größe sah — und er sah nur sich selbst, sonst nichts außer Wasser und Dunkelheit —, da nahm er an, daß er allein existierte.« In seiner heillosen Unwissenheit spricht Jaldabaoth, wie er häufig genannt wird, nun die Worte aus: »Ich bin Gott und keiner ist Gott außer mir«. Deshalb erhält er die despektierlichen Beinamen Saklas, der »Narr«, und Samael, der »blinde Gott« bzw. »Gott der Blinden«.
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