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DER STANDARD schrieb am 13.4. 2019 um 14:48:22 Uhr über

Demütigungen

Misshandlungen, Drill und Magersucht:

Die Ballettakademie der Wiener Staatsoper


Die Verantwortlichen reagierten zwar bereits, bezüglich umfassender personeller Konsequenzen ziert man sich Eigentlich hätte es für die Wiener Staatsoper ein Tag der Freude werden können. Just am Dienstag wurde bekanntgemacht, dass das weltweit bewunderte Opernhaus zu seinem 150-jährigen Bestehen in diesem Jahr den Europäischen Kulturpreis erhalten wird. Die Gala soll unter Teilnahme zahlreicher Stars der Klassik im Haus am Ring selbst stattfinden.

Dann aber trübten unangenehme Enthüllungen die Feierstimmung: Wie der »Falter« in seiner aktuellen Ausgabe berichtet, hat die Staatsoper ein massives Problem mit ihrer Ballettakademie. Und das seit Jahren.

An der Talenteschmiede, die Nachwuchs für das Staatsopernballett und Bühnen weltweit ausbildet, sollen Mädchen im Alter von 17 und 18 Jahren misshandelt, gemobbt und psychisch gedemütigt worden sein. Ein junger Mann berichtete dem Falter, er sei sexuell belästigt worden. Insgesamt soll an der Schule, die Kinder zwischen zehn und 18 Jahren ausbildet und für den normalen Unterricht abseits des Balletts mit einer Neuen Mittelschule kooperiert, ein System vorherrschen, das auf autoritärem Drill beruht und missbräuchliches Verhalten begünstigt.


Verbale Demütigungen

Ein Großteil der Vorwürfe konzentriert sich auf Bella R., eine Ballettlehrerin aus Russland, die die achte Klasse der Akademie unterrichtete und dabei wiederholt übergriffig geworden sein soll: Betroffene Mädchen berichten von verbalen Demütigungen, sie seien von R. im Unterricht blutiggekratzt und an den Haaren gerissen worden. Ein Mädchen sagt, R. habe ihr gegen den Knöchel getreten, als sie auf den Zehenspitzen stand. Dadurch sei sie umgeknickt und habe sich schwer verletzt.

Der Umgang mit medizinischen Not fällen sei an der Akademie aber ebenso mangelhaft gewesen wie jener mit dem Thema Magersucht. Im »Falter« kritisierten Betroffene, Eltern und ehemalige Lehrerinnen, dass die Ernährungsproblematik nicht offen angesprochen werde. Viele Ballettschüler litten an Bulimie, ein Mädchen aus Japan soll bei einer Körpergröße von 1,70 Meter nur noch 37 Kilo gewogen haben. »Sie riecht nach Tod«, erzählten Kinder einer Lehrerin. Erst nach Wochen hätten die Verantwortlichen einen stationären Spitalsaufenthalt vorgeschlagen. Nachdem die Eltern des Mädchens abgelehnt hatten, sei es nach Japan »zurückgeschickt« worden.


Mutmaßliche sexuelle Belästigung

An der Akademie werden zahlreiche Talente aus dem Ausland ausgebildet, meist mit extrem ehrgeizigen Erwartungen und finanziell hohen Ausgaben der Eltern verbunden. Die Kinder sind häufig in Internaten untergebracht, wodurch die Ernährungsfrage der Kontrolle der Akademie weitgehend entzogen sein soll. Im Fall mutmaßlicher sexueller Belästigung beschuldigt ein Bursche seinen ehemaligen Lehrer, dass dieser vor ihm onaniert habe. Der Fall liegt sechs Jahre zurück, der Lehrer bestreitet den Vorfall. Die Staatsoper hat ihn nach Anhörung beider Seiten suspendiert.

Bereits seit Monaten ist die Wiener Kinder- und Jugendanwaltschaft mit der Ballettschule befasst. Im Jänner wurde die Lehrerin R. von der Staatsoper gekündigterst nach zweimaliger Verwarnung, die zuerst mündlich, dann schriftlich ergangen sein soll. Und das, obwohl der Lehrerin, die bei den Leistungen stets »gute Ergebnisse gebracht« hätte, ein einschlägiger Ruf bezüglich ihrer Unterrichtsmethoden vorausgeeilt sein soll. »Wir haben zu spät reagiert, zu lange gewartet«, sagte Simona Noja, Direktorin der Akademie, die die Lehrerin einst selbst an die Schule geholt hatte.

Sowohl Noja als auch Staatsopern-Ballettchef Manuel Legris dürfen ihre Jobs vorerst behalten. »Ich weiß, dass man gerne Köpfe abschneidet«, so Staatsoperndirektor Dominique Meyer, »aber bevor wir das tun, wollen wir volle Aufklärung


Meyer: »Die Gesellschaft ändert sich«

Meyer selbst, der 2020 an seinen designierten Nachfolger Bogdan Roščić übergeben wird, habe »nie an Rücktritt gedacht«. Er übernehme aber »die volle Verantwortung«, man könne über ihn sagen, er hätte sich früher kümmern sollen, »stimmt auch«. »Es trifft mich persönlich sehr«, so Meyer im Zuge eines Mediengesprächs, zu dem er heute, Mittwoch, geladen hatte.

Der sichtlich geknickte Direktor, eigentlich ein Förderer des Balletts, war dabei bemüht, seinem Bedauern Ausdruck zu verleihen, den betroffenen Schülern habe er einen Besuch abgestattet. Er verwehrte sich aber auch dagegen, die ganze Akademie »über einen Kamm zu scheren«. »Es gibt Menschen, die sich mit 70 noch dieselbe Frisur wie mit 30 machen. Sie ändern sich nicht«, sagte er über die gekündigte Lehrerin. Derartige Zustände seien »vor 20, 30 Jahren vielleicht normal gewesen. Aber die Gesellschaft ändert sich«, so Meyer.

Untätig war die Staatsoper in den letzten Monaten auch tatsächlich nicht. Sie legte ein 13 Punkte umfassendes Maßnahmenpaket vor, das die auf Maria Theresias Zeiten zurückgehende Akademie ins 21. Jahrhundert befördern soll. Kulturminister Gernot Blümel (ÖVP) will eine Sonderkommission, und auch die Staatsanwaltschaft ermittelt.














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