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Loving schrieb am 3.3. 2003 um 00:56:10 Uhr über

Darm

Netzkommunikation ist medientechnisch und gesellschaftlichesetwas völlig Neues. Die Metapher der Datenautobahn, die Computernetze als reine Transportwege für Informationenerscheinen läßt, greift zu kurz, denn mit der informationstechnischen Vernetzung öffnet sich der Mensch ein neues, gewissermaßenhinter dem Bildschirm befindliches Zimmer der Realität. Das Internet bildet einen solchen neuartigen Raum für Interaktionen: in ihm können soziale Beziehungen aufgebaut, gemeinsame Welten konstruiert und alternativeIdentitäten erprobt werden.

Herkömmlicher Formen der Kommunikation überkreuzen sich imAustausch über das Netz. Eine solche Form des Austauschs vereint die Anmutung von dichten Kontexten einfacher Interaktion mit dervirtuellen Gegenwart eines zerstreuten und anonymen Publikums. Informationstechnische Vernetzung führt zu neuartigenMöglichkeiten und problemen das sozialen Austauschs. Die Verbindungsmöglichkeiten unter den Teilnehmern erreichen dieGrößenordnung einer Superkonnektivität. Die Beschleunigung der Kommunikation läßt raum-zeitliche Distanzen schrumpfen und ebnet das Terrain für eine elektronische Weltgesellschaft. Mit dem Computerals Medium eröffnen sich Möglichkeiten symbolischer Tätigkeit, bei deen sich die Grenzen zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Akteuren verwischen.


1 Personale Identität als Konstruktion



»On the Internet nobody knows you're adog.« Dieser vielfach zitierte Cartoon aus dem New Yorker bringt ein markantes Charakteristikum derNetzwelt auf den Punkt: Bisher als verläßlich und vertraut wahrgenommene Unterscheidungen gehen verloren. Die Künstlichkeit derKommunikationsbedingungen bringt gewohnte Merkmale personaler und sozialer Identität zum Verschwinden, begünstigtdabei aber auch bislang kaum denkbare Sprechakte. »Gender Swapping«, die Chance im Netz unter wechselnden Geschlechtsidentitäten zu agieren, ist eine dieser Möglichkeiten.

In der Netzwelt, in der genaugenommen nicht Personeninteragieren, sondern Chiffrenexistenzen, werden vermeintlich festgefügte Paarbildungen wie die von Körper undSelbst aufgesprengt. Darüber hinaus können Menschien in virtuelle Erfahrungsräumen neue Identitäten leichter konstruieren. Für moderneGesellschaften ist es an sich keine neue Vorstellung, daß wir unsere Identität selbst konstruieren, aber das Leben mit und in den Netzen macht daraus eine konkrete Anforderung.


2 Netzgemeinschaften



Der Austausch im Netz erleichtert die individuelle Auswahl vonKontakten und fördert das Leben in Gemeinschaften, deren Mitglieder sich persönlich gar nicht kennen müssen. Verschiedene Arten von Netzgemeinschaften geben der Sozialwelt des Internet eine nachfolgend skizzierteBinnenstruktur.

Virtuelle Gemeinschaften finden sich über ein gemeinsamesInteresse an einer Sache. Diese Gemeinschaften kommunizieren fast nur über das Netz, und zwar mit jeweils eigenwilligen Regeln des Umgangs. Ein Beispiel sind die Diskussionsgruppen des Usenet, die trotz wechselnderMitgliedschaft relativer beständig sind. Von Kulturgemeinschaften im Netz kann man sprechen, wenn die Aktivitäten und Kontakte im Netz zum zentralen Sozialbezug werden. Eine solche Kulturgemeinschaft ist die Gruppe der Hacker, aufderen Initiative und Kreativität sich zahlreiche nicht-kommerzielle Software-Entwicklungsprojekte im Internet gründen. Bestimmte Funktionsgemeinschaften erfüllen dienstespezifische oder netzübergreifende Aufgaben. Beispielesind Vertreter virtueller Spielwelten, sogenannte MUD Wizards, oder IRC Operatoren, Newsgruppen- undMailinglisten-Moderatoren, die Anwendern ermöglichen, einen relgelmäßigen Austausch aufrechtzuerhalten. Demgegenüber sorgen dieMitglieder der Internet Engineering Task Force für die Weiterentwicklung der Internet- Protokolle.

Die Internetgemeinde ist also keineswegs eine homogene Einheit,sondern repräsentiert in verschiedener Hinsicht Vielheit und Pluralismus. Wenn trotzdem vom »Netizen« (zusammengesetzt aus Network + citizen), dem Netzbürger, gesprochen wird, so verweist dies auf die abnehmendeBedeutung nationalstaatlicher Ordnung in der Netzwelt.


3 »Objektualisierung«



Das Internet hat nicht nur einen Schub in RichtungIndividualisierung und Globalisierung mit sich gebracht, sondern auch in Richtung »Objektualisierung«: in der virtuellen Welt der Computernetze rücken uns auch die Dinge näher.

Innerhalb der entköperlichten, rein symbolischen Kommunikationim Datenraum wird jeder Austausch zum Datenaustausch und in der gleichmachenden Umgebung der Netzwelt verwischen sich die Grenzen zwischen menschlichen und nicht-menschlichenAkteuren. So tummelt sich bereits heute im Internet eine Vielzahl von Software-Agenten, die als Chatterbot, Web Spider oder BargainFinder im Auftrag einer Nutzerin oder einerOrganisation weitgehend autonom eine Aufgabe ausführen. Bald werden auch der Toaster oder das Auto zu den Netzbewohnernzählen wie wir.

Im Gegensatz zum populären Bild von der Technik, die sichzwischen die Menschen, zwischen Mensch und Natur, zwischen Mensch und Dinge schiebe und sie voneinander distanziere,werden in der Netzwelt diese Kontakte nicht fortschreitend gekappt, sondern stattdessen vermehr gefördert. Erfahrungenzwischenmenschlicher Interaktion reichen somit zur Bescheibung dessen, was in Computernetzen geschieht, heute nicht mehraus.


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