Der erste Mensch, mit dem ich in meinem Leben befreundet war, hieß Daniela. Ich lernte sie kennen, als ich ein Jahr alt war. Daniela, genannt Dany, war schon als Kind häßlich wie die Nacht, sehr adipös, mit engen Augschlitzen hinter meterdicken Brillengläsern, Schweinsnase, vom Wangenfett zusammengepressten Lippen und seltsam gekräuseltem Kinn. Das interessierte mich allerdings herzlich wenig, denn ihre Oberschenkel waren rund, weich und griffig, und das reichte voll und ganz.
Ihre Familie, bei der ich zu Kindergartenzeiten oft in Pflege war (meine Eltern arbeiteten beide), war ein Horrorkabinett westdeutschen Spießertums: Der Vater ein träger Lampenfabrikarbeiter, der aussah wie die Veltinsflaschen, die er dauernd an der Kehle trug; die Mutter ein skelettartiges, männlich scheinendes Wesen, das den Haushalt in endlosen Listen durchplante; die Schwester, Melanie, äußerlich eine Doppelgängerin Danielas, vom Wesen her aber genau entgegengesetzt: Daniela war laut und herrisch, Melanie sagte nie ein Wort. Trotzdem nötigte die Mutter Daniela, ihre Schwester überall hin mitzuschleppen.
Je mehr andere Menschen ich kennen lernte, desto kritischer wurde meine Sicht auf Daniela. Als ich in der Mittelstufe wegzog, hatte ich kaum mehr etwas mit ihr zu tun. Die Gewohnheit ließ uns später noch ein paar mißverstandene Pflichtanrufe zu Geburtstagen tätigen, danach brach der Kontakt ab. Das letzte, was ich hörte, war, dass Daniela mittlerweile etwa 150 Kilo wiegt und bei der Bademeisterprüfung durchgefallen ist.
Wenn meine Eltern mich heute triezen wollen, zeigen sie mir die Fotoserie, auf der Daniela und ich im Alter von drei Jahren wild miteinander rumknutschen. Kurze Zeit später spielten wir auch ein paar harmlose Doktorspielchen, davon existieren glücklicherweise jedoch keine Fotos.
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