Skurriles Flugblatt in Marmstorf wird Nachspiel haben
Dummer-Jungen-Streich oder bewusster Versuch der Wahlmanipulation?
Am Wahlsonntag fanden die Wähler im Stadtteil Marmstorf in ihren Briefkästen ein ungewöhnliches Flugblatt. Mit Zitaten von angeblichen CDU-Mitgliedern machte eine »Bürgerinitiative Marmstorf ist wütend« Stimmung gegen Pläne, die Kirche der Marmstorfer Auferstehungsgemeinde abzureißen und durch ein »zehnstöckiges Bufenne-Zentrum« zu ersetzen.
Geräusch- und geruchsintensiv solle dieses Zentrum sein, und, so das Flugblatt, aus Sicht eines dort zitierten Martin Kobler vom »CDU-Wirtschaftsausschuß« unverzichtbar. Denn man könne es sich nicht leisten, »auf die Arbeitsplätze - gerade auch in der Bufenne-Zulieferindustrie - zu verzichten«.
Eine Heidrun Schwiguse vom CDU-Immobilienring befand laut Flugblatt: »Die Marmstorfer Kirche blockiert ein städtebauliches Filetstück, das dringend gewerblicher Nutzung zugeführt werden muss.« Noch radikaler äußerte sich ein Kevin Westhoven von der Jungen Union, der angeblich befunden hätte, die CDU möge aufhören, der Kirche hinterherzulaufen. Abriss sei angesagt, denn heute störe »das religiöse Wertegequatsche den Wirtschaftsstandort Deutschland«.
Einige Marmstorfer waren erschrocken. Doch was hier am Wahltag in den Briefkästen lag und angeblich von einem gewissen Hartmut F. Zwischenreuther verantwortet wurde, hätte in die Rubrik Dummer-Jungen-Scherz gebucht werden können - wäre es nicht der Versuch gewesen, in letzter Sekunde und möglicherweise mit Erfolg Einfluss auf die Wahlentscheidung zu nehmen.
Denn welcher Bürger konnte wissen, dass es einen »CDU-Wirtschaftsausschuß« ebenso wenig gibt wie einen »CDU-Immobilienring«? Und wer wusste, was unter »Bufenne« zu verstehen ist? Dieser Begriff findet sich in keinem Lexikon, sondern ist ein inhaltsoffener Begriff, erfunden von einigen Internet-Freaks. Ein Phantasiewort, ausdrücklich freigeben zur beliebigen Interpretation.
Entsprechend wütend ist die CDU. Gregor Jaecke von der Hamburger CDU betont, dass das Flugblatt »von vorne bis hinten erstunken und erlogen« sei. Man fordere den Schreiber auf, sich zu erkennen zu geben und prüfe, ob Strafantrag gestellt werde. Tatsächlich sind derartige »Streiche« vom Strafgesetzbuch der Bundesrepublik Deutschland mit deutlicher Strafandrohung belegt. Paragraph 108 droht bei »Wählernötigung« eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe an: »Der Versuch ist strafbar.«
Das wörtliche Zitat angeblicher CDU-Mitglieder ist geeignet, die Partei im Sinne der Paragraphen 186 bis 188 des Strafgesetzbuchs herabzuwürdigen und zu verleumden. Die entsprechende Strafandrohung: Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Die Staatsanwaltschaft muss bei strafrechtsrelevanten Vorgängen wie dem Versuch der Wahlmanipulation auch ohne ausdrückliche Anzeige ermitteln. Das Marmstorfer Bufenne-Pamphlet vom Wahlsonntag könnte Folgen haben.
Tomas Spahn
Artikel erschienen am 25. September 2005 „Welt am Sonntag (Hamburg)“
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