Nr.5, Winter 2000/2001
Sozialismus von unten
Zeitschrift für sozialistische Theorie und
Praxis
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Pierre Bourdieu: „Gegenfeuer:
Wortmeldungen im Dienste des
Widerstands gegen die neoliberale
Invasion„
UVK Universitätsverlag Konstanz GmbH, Konstanz 1998
Eine Buchrezension von Dörte Feger
„Es muß Schluß sein mit der Tyrannei der Experten vom Typ Weltbank
und IWF, die ohne jede Diskussion die Gesetze (...) der Finanzmärkte
durchsetzen„. Das sagte Pierre Bourdieu in seiner berühmt
gewordenen Solidaritätsbekundung vor streikenden Bahnarbeitern im
Gare de Lyon in Paris während der Streiks 1995 gegen die Sparpläne
Juppés. Abgedruckt ist sie in dem Buch „Gegenfeuer„, einer
Sammlung von Zeitungsartikeln, Interviews und Vorträgen aus den
Jahren 1991 bis 1998, in denen der französische Soziologe sich gegen
die vorherrschenden neoliberalen Ideen wendet.
Bourdieus politische
Äußerungen sind
verknüpft mit seiner
wissenschaftlichen
Arbeit. Aufgrund der
Ergebnisse seiner
Studie „La misère du
monde„ von 1993
(auf deutsch „Das
Elend der Welt„,
1998), so sagt er,
„wurde es für mich
unmöglich, mich
nicht
einzumischen.„. Die
Studie führt auf
eindrucksvolle
Weise zu Tage, daß sich das „Leiden an der Gesellschaft„,
hervorgerufen durch zunehmenden Konkurrenzdruck, Sozialabbau,
Massenarbeitslosigkeit und gesellschaftliche Marginalisierung immer
breiterer Bevölkerungsgruppen, verstärkt hat. In Frankreich wurde das
Buch zu einem Inbegriff für die Verwüstungen, die die ungehemmte
Marktideologie und der Abbau des Sozialstaates anrichten.
Zusammen mit Bourdieus politischen Wortmeldungen sorgte es dafür,
daß der kritische Diskurs in Frankreich wiederbelebt und wieder
legitimiert wurde.
Doch Bourdieu redet nicht nur über die Bekämpfung neoliberaler
Ideen, er handelt auch: Nach den großen Streiks im Winter 95/96 hat
sich eine Gruppe von Wissenschaftlern zusammengefunden, die sich
„raisons d'agir„ (Gründe zum Handeln) nennt. Die Wissenschaftler
verstehen sich als „Experten gegen die Experten„ und als „kollektive
Intellektuelle„, die nicht als Führer von sozialen Bewegungen
auftreten, sondern sie durch ihre wissenschaftliche Arbeit und
Autorität unterstützen. Außerdem bemüht sich „raisons d'agir„ darum,
Netzwerke zwischen den verschiedenen sozialen Bewegungen in
Europa zu knüpfen (zum Beispiel durch die Initiative „Charta 2000„).
Ihr Ziel ist es, den europäischen Sozialstaat als kulturelle
Errungenschaft zu erhalten und auszubauen.
Es ist sehr gut, daß es Intellektuelle wie Bourdieu gibt, die die neue
internationale Bewegung gegen den weltweiten Neoliberalismus
unterstützen. Auch in Deutschland bräuchten wir einen prominenten
Kritiker, der zum politischen Handeln aufruft. Bourdieu fehlt jedoch
das Verständnis des Kapitalismus als System, das die Menschen
immer wieder in das ‚Leiden an der Gesellschaft' treiben wird. Ein
europäischer Sozialstaat wird nicht funktionieren, solange wir in
einem Konkurrenzsystem leben, in dem Profite wichtiger sind als die
Bedürfnisse der Menschen und in dem eine kleine Minderheit über die
Mehrheit bestimmt. Statt eines Sozialstaates, der die Auswirkungen
des Kapitalismus lediglich „abfedert„, müßte die Perspektive der
Bewegung eine andere Gesellschaft sein, die jeder mitgestalten kann
und die demokratisch von unten organisiert wird.
Bourdieu Links
Pierre Bourdieu: Aufruf gegen die Politik der Entpolitisierung
Nachruf von T.t.Brink: Pierre Bourdieu (1930-2002) - "Das
herrschende Denken durchbrechen"
The Politics of Protest. Ein Interview mit Pierre Bourdieu von Kevin
Ovenden
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