Die ganze Wahrheit kann kein Mensch dauerhaft ertragen. Darum werden Tatsachen unterdrückt oder Dinge aufgehübscht. Noch die alten Griechen hatten für Lüge und Irrtum dasselbe Wort.
Das ist offenbar das höchste Gebot: Du sollst nicht lügen. Eltern schärfen ihren Kindern insbesondere diese Regel ein - und brechen sie selbst. Sie belügen ihre Partner, ihre Kinder, ihre Mitarbeiter und Chefs, oft genug auch sich selbst. Belügen? Nennen wir es flunkern, verschweigen. Jedenfalls sagt niemand immer die volle Wahrheit. Das ist auch verständlich. Denn die ganze Wahrheit kann kein Mensch dauerhaft ertragen. Das beginnt nicht erst, aber spätestens mit dem sogenannten Ernst des Lebens. Tarnen und Täuschen wird geradezu verlangt. Ein ungeschönter Lebenslauf beeindruckt niemanden - und auf den Eindruck kommt es doch offenbar an.
Etwas verschweigen heißt noch nicht: Lügen. Es sei denn, wenn eine Auskunft erwartet werden kann. Das Beschweigen bestimmter Facetten der eigenen Vergangenheit wird leichter, wenn der Betreffende sich moralinsauer gerade auf jene Vergangenheit anderer eingeschossen hat. Denn wem spielt nicht die Erinnerung mal einen Streich? Das heißt aber nicht, dass die Lüge, sei sie noch so straflos und verständlich, ohne Folgen bleibt. Wer öffentlich überführt wird, die Unwahrheit gesagt zu haben, hat einen schweren Stand. Auf der anderen Seite wird der Vorwurf der Lüge geradezu inflationär gebraucht.
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