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Groschen schrieb am 14.4. 2004 um 21:33:20 Uhr über

Blut

Zorax war sich klar gewesen, daß der Auftrag, den er zu einer Zeit angenommen hatte, als ihm diese ferne Zukunft noch wie in Watte gepackt vorkam, mit seiner Erfüllung auch seine Vernichtung bedeuten würde. Deshalb fröstelte er ein wenig, als der Anruf kam. Die zwei Tage bis zum Stichtag verbrachte er konzentriert mit Planungen. Er verabschiedete sich von seinen Brüdern und war bereits einen halben Tag vorher am Zielort.

Birte Lohmeyer fühlte sich elend, als sie von ihrer Arbeit im Callcenter in ihre Wohnung im achten Stock ihres Frankfurter Wohnhauses zurückkehrte. Schon seit drei Tagen plagten sie Kopfschmerzen, ihre Laune war knapp unter dem Nullpunkt, Unterleibskrämpfe hatten ihr die Stunden am Telefon zur Hölle gemacht, in denen sie hirnverbrannten Idioten die Segnungen eines neuen Knebelvertrags für ihr Mobiltelefon schmackhaft zu machen versuchte. Aber schon als sie die Wohnungstür aufschloß wußte sie, daß sie das Schlimmste hinter sich hatte.

Zorax wagte kaum zu atmen. Langsam ließ er sich in die enge Höhlung gleiten. Es roch überraschend neutral, eine angenehme Wärme herrschte vor und er gewöhnte sich schnell an die Dunkelheit. Die Schlußphase hatte begonnen. Er entsicherte die Rotoren, zurrte den Sprengstoffgürtel fest und sprach einige Gebete, die er sich in den Tagen zuvor sorgfältig ausgewählt hatte. Dann setzte er den Mechanismus in Gang, und bevor seine Welt in einer Wolke von Blut und Fetzen unterging, meinte er noch in grimmiger Befriedigung einen Entsetzensschrei zu vernehmen.

Als Henning Lohmeyer gegen acht Uhr abends die Wohnungstür aufschloß, schwanden ihm die Sinne. Kein Quadratmeter in der geschmackvoll eingerichteten Diele, der nicht mit Blut besudelt war. Sein instinktives Bedürfnis war es, die Türe wieder zu schließen, fortzulaufen und dieses neue Leben, von dem er bereits wußte, daß es sein Leben danach sein würde, nicht anzunehmen. Sich in einer Äbbelwoikneipe besaufen, irgendwann die Polizei zu rufen und... Er verwarf diese Gedanken und trat entschlossen ins Wohnzimmer, wo sich im ein ähnliches Bild wie im Eingang bot. Aber immer noch keine Spur von Birte. Was war hier geschehen? Als er ins Badezimmer trat, zog es ihm die Beine fort, riß ihn vom festen Boden all dessen, was ihm noch vor wenigen Minuten Sinn seines Lebens gewesen war. Sie lag in einer grotesken Haltung zwischen Waschbecken und Toilette. Äußerlich wirkte sie unverletzt, wenn er versuchte, sich die Unmengen Blutes wegzudenken. Sie trug ihr Lieblings - T-Shirt, die sie zusammen im Frühjahr in einer englischen Boutique gekauft hatte. Ihre Designerjeans und der Slip jedoch waren bis auf die Knie heruntergezogen, welcher Perverse hatte das getan? Wer, wer, wer, fragte Henning sich immer wieder, blicklos ins Leere starrend, als er auf einmal aus den Augenwinkeln ein blutgetränktes fingerlanges Gebilde sah, das an seinem einen Ende einen winzigen zerbeulten Rotor und am anderen einen Baumwollfaden, das sich gerade anschickte, sichtbar schwerverletzt das Badezimmer kriechend zu verlassen. Es schrie irgendetwas in einer für Henning unverständlichen Sprache, als der es angewidert unter seinem Absatz zerquetschte. Henning stand noch mehrere Minuten fassungslos vor dem Anblick, der sich ihm darbot. Dann wechselte er die Schuhe und ging in den Abend hinaus, fühllos, leer, ausgebrannt, Richtung Sachsenhausen. Der Wein würde ihm heute nicht schmecken, das wußte er, aber zugleich hatte er das Gefühl, ihn sich diesmal wirklich verdient zu haben.


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