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Diethelm P. Krause schrieb am 9.9. 2003 um 21:53:16 Uhr über

Blumenverkäufer

»Hier, biegen Sie hier ab!«, ruft der Blumenverkäufer dem Kunden zu. »Nein, hier nicht! Wie kommen Sie darauf, da Ihnen doch diese Siedlung, in der mein Chef zu Hause ist, gar nicht bekannt sein wird?«, fragt der Kunde den Blumenverkäufer zurück. »Dort war ein Zigarettenautomat zu sehen, von dem ich noch gerne Gebrauch gemacht hätte, bevor wir das Haus Ihres Chefs betreten«, antwortet der Blumenverkäufer. »Zigaretten? In Gegenwart meines Chefs zu rauchen, ist völlig ausgeschlossen. Ich kann Ihnen diese Freiheit während der Geburtstagsfeier auf keinen Fall gestatten, da ich Sie nun schon als uneingeladenen Gast mitbringe. Jeder Fehltritt Ihrerseits wird unvermeidlich in den Augen meines Chefs auf mich zurückfallen, da ich die volle Verantwortung für Ihr Benehmen trage. Wir müssen unter allen Umständen vermeiden, daß sich das Misstrauen meines Chefs bestätigt, das unzweifelhaft durch Ihr befremdendes Auftauchen in ihm aufkeimen wird«, führt der Kunde ausführlich aus. »Ja, ja, Sie müssen keine Staatsrede wegen meiner Zigaretten halten. Ich habe meinen Plan ja schon aufgegeben und überlasse Ihnen vollkommen die Entscheidung über die noch verbleibende Fahrtroute«, entgegnet der Blumenverkäufer mit etwas schlechter Laune. »Mir obliegt äußerste Sorgfalt, nicht nur mein, sondern auch Ihr Verhalten betreffend«, unterstreicht der Kunde noch einmal seine strenge Rede und fährt fort: »Mit etwas Glück und wenn der Abend zur Zufriedenheit meines Chefs verläuft, wenn Sie wenigstens ein Bruchstück seines Wohlwollens zu gewinnen vermögen - denn mehr als einen winzigen Brocken dürfen Sie nicht erwarten - und ihm der Sinn danach steht, könnte er vielleicht zu später Stunde zu einer seiner Zigarrenkisten greifen und jedem der Gäste eine Zigarre anbieten - und so auch Ihnen, denn er wird zwischen den Gästen, die einmal sein Haus betreten haben, in seiner Aufgabe als Gastgeber keinen Unterschied machen, wie weit er auch immer in allen wesentlichen Belangen zwischen einem Prokuristen und einem Oberbuchhalter zu trennen vermag.« Der Blumenverkäufer atmet seufzend durch, in Erwartung des nüchternen Abends ohne Zigaretten. »Gegen die von Ihnen vorgeschlagene Straße spricht auch, daß an deren anderem Ende schon mein Chef wohnt, wir also Gefahr gelaufen wären, an seinem Haus vorbeifahren zu müssen, wenn wir vorher keine geeignete Parklücke gefunden hätten«, beginnt der Kunde von neuem. »Wir haben aber doch längst beschlossen, auf keinen Fall vor dem Haus Ihres Chefs zu parken, so daß uns die bloße Vorbeifahrt keinen Gefahren ausgesetzt hätte«, wirft der Blumenverkäufer ein. »Sind Sie denn blind für die bedrohliche Situation, die auch nur eine Fahrt am Hause meines Chefs vorbei heraufbeschwören könnte!«, fährt der Kunde verärgert dazwischen und fügt hinzu, »denken Sie nur an Straßenbeleuchtungen! Führen Sie sich vor Augen, wie die Scheinwerfer eines entgegenkommenden Fahrzeugs gerade vor dem Haus meines Chefs uns in grellstes Licht tauchen könnten! Es ist immer damit zu rechnen, daß mein Chef am Fenster steht und die Szene zufällig, aber doch aufmerksam in Augenschein nehmen wird. Der Wechsel von glänzenden und stumpfen Bereichen auf dem Lack und der graue Ton, der sich über die natürliche Farbe gelegt hat, wird ihm nicht entgehen und ihn geradewegs zu der Schlussfolgerung führen, daß er es hier mit einer unerträglichen Verschmutzung zu tun hat, verursacht und zu verantworten von dem von ihm selbst eingesetzten Prokuristen.« »Sie haben recht. Der sich nähernde Moment der Ankunft scheint Sie in einen Zustand größter Vorausschau und Hellsichtigkeit zu versetzen«, erwidert der Blumenverkäufer, staunend über die unverhoffte Selbständigkeit seines Kunden, der ihm aber schon nicht mehr zuhört, während er sich fahrend nach einer geeigeten Seitenstraße umsieht. »Dort ist der richtige Platz!«, ruft der Kunde plötzlich aus, bremst die Fahrt und fährt geradewegs auf eine Parklücke zu, die sich vor einem Hauseingang befindet. »Bemerken Sie den Vorteil dieses Platzes?«, fragt er den Blumenverkäufer und blickt ihn strahlend an. »Mir scheint diese Parklücke so gut wie viele andere mögliche zu sein«, antwortet der Blumenverkäufer achselzuckend. »Falsch! Ganz falsch!«, ruft der Kunde und fährt fort: »Diese Parklücke befindet sich nämlich, wie Sie sehen können, erstens nicht unmittelbar unter einer Straßenlaterne, und zweitens - was viel entscheidender ist - schließt sich in der einen Richtung, aber erst hinter zwei weiteren parkenden Autos, welche die Sicht von dieser Richtung ausgehend auf unsere Parklücke verbergen, die unbeleuchtete Kreuzung an, von der wir soeben abbiegen. Drittens aber - und hierin liegt die Einzigartigkeit dieser Parklücke begründet - ist die Laterne, welche in der anderen Richtung unserem Parkplatz am nächsten steht, offensichtlich - sehen Sie nur! - beschädigt oder außer Betrieb, was uns hier nicht im Detail beschäftigen muss. Das alles zusammengenommen führt dazu, daß unser Parkplatz in ein ausgesprochenes Dunkel gehüllt ist, welches uns in diesem Moment mehr als gelegen kommt. Die Wahrscheinlichkeit, daß mein Chef, den vielleicht plötzlich die Lust nach einem Spaziergang anwandeln könnte, oder ein anderer Geburtstagsgast zufällig unser Auto in dieser Lücke entdecken könnte, ist also sehr gering, so gering, wie wir es überhaupt nur erwarten konntenDer Blumenverkäufer hat den Kunden während seiner ganzen Rede fasziniert angeblickt und ruft nun begeistert aus: »Wie Sie nun alles zu überblicken wissen, ist einfach großartig und lässt mich beinahe jede Befürchtung aufgeben, es könne noch irgendetwas an unserem Plan schiefgehen. Es ist kaum noch denkbar, daß Sie den Anforderungen an Sie als Geburtstagsgast Ihres Chefs nicht gerecht werden könnten, solange Sie nur in dieser Klarheit des Denkens zu verharren vermögenWährend der Kunde noch über die mit den letzten Worten gemachte Einschränkung des Blumenverkäufers nachdenkt, parkt er sein Fahrzeug in die vorgesehene Lücke ein und stellt den Motor ab.


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