»Ich habe immer noch schwerste Bedenken unser kommendes Auftreten auf der Geburtstagsfeier meines Chefs betreffend«, flüstert der Kunde dem Blumenverkäufer mit kleinlauter Stimme zu. »Aber Ihre Bedenken sind sicherlich unbegründet und rühren nur von Ihrer übertriebenen Vorsicht her«, versucht der Blumenverkäufer seinen Kunden zu beruhigen. »Nein, bedenken Sie nur, daß es drei Fehltritte geben wird, die meinen Chef an meinem Verstand und dem Respekt an seiner Person zweifeln lassen könnten: Wir fahren mit einem nicht hinreichend gereinigten Auto vor, die in dieses Fliederpapier gewickelte Flasche Schnaps befindet sich in einem fragwürdigen geöffneten Zustand und Ihr Auftauchen als eines nicht geladenen Gastes könnte leicht als übermütige Dreistigkeit erscheinen«, begründet der Kunde seine Zweifel. »Für die Flasche Schnaps wird zuletzt der Inhalt sprechen, der Ihrem Chef eine Freude bereiten wird, welche der Strauß der von Ihnen als Geschenk geplanten Blumen niemals hätte erreichen können. Und was meine Person betrifft, so werde ich mich soweit im Hintergrund halten, daß von einer Störung der Feierlichkeiten nicht die Rede sein wird«, beginnt der Blumenverkäufer die Skrupel des Kunden auszuräumen. »Aber das Fahrzeug ist und bleibt ein schmutziger Dorn im Auge jedes Geburtstagsgastes, nachdem unser Besuch in der Waschstraße nun so kläglich gescheitert ist«, setzt der Kunde seine Rede fort. »Darüber habe ich nun schon die letzten Minuten unserer Fahrt mit aller Kraft nachgedacht und bin zu einer Lösung gekommen, die Ihre Bedenken ein für alle Mal ausräumen wird«, kündigt nun der Blumenverkäufer an. Der Kunde schaut ihn voller Erwartung und neu geschöpfter Hoffnung an, während der Blumenverkäufer fortfährt: »Wir werden nämlich nicht vor dem Haus Ihres Chefs parken, sondern in einer Seitenstraße, die der Aussicht aus seinem Fenster entzogen ist.« Der Kunde wendet sich enttäuscht wieder der Straße zu: »Nein, das ist ganz unmöglich. Wir müssen vor dem Haus meines Chefs parken.« »Aber warum denn?«, fragt der Blumenverkäufer. »Er wird aus dem Fenster schauen und einen Blick auf das parkende Auto werfen wollen«, entgegnet der Kunde. »Aber wozu? Er kennt Ihr Auto doch bestimmt und hat keinen Anlass, zu seinem Geburtstag an ihm eine Veränderung zu erwarten«, erwidert der Blumenverkäufer. »Aber ich bin Prokurist«, wirft der Kunde ein. »Ach so«, staunt der Blumenverkäufer. »Sie müssen wissen, daß mein Chef unter allen Umständen ein standesgemäßes Verhalten erwartet, das ohne ein repräsentierendes Fahrzeug niemals sichergestellt werden kann. Er wird daher nicht einmal mit der bloßen Anwesenheit meines Autos sich zufrieden geben können, sondern es vielmehr in einem Zustand vorfinden wollen, in dem sich die Position widerspiegelt, die er mir mit allerhöchstem Vertrauen zugewiesen hat«, erläutert der Kunde seine Ablehnung des Vorschlags des Blumenverkäufers. »Gewiss hat Ihr Chef die allergrößte Veranlassung, gerade Ihnen sein Vertrauen entgegen zu bringen«, wirft der Blumenverkäufer ein. »Eben darum habe ich unbedingt jeder Enttäuschung über diese Entscheidung entgegen zu wirken«, antwortet der Kunde. »Doch befinden wir uns nun in einer Zwickmühle«, beginnt der Blumenverkäufer und fährt fort, »denn die Anwesenheit Ihres Fahrzeugs vor dem Haus Ihres Chefs wird ihn dessen schmutzigen Zustand bemerken und Zweifel an Ihrer Sorgfalt, ja noch schlimmer, an der Sorgfalt aufkommen lassen, mit der Sie das Amt besorgen, das er Ihnen anvertraut hat. Die Abwesenheit des Fahrzeugs aber wird ihn in eine Verwunderung stürzen, worauf dieser Umstand nur zurückzuführen ist. Jedoch bedenken Sie: Am verschmutzten Zustand Ihres Autos ist nun nichts mehr zu retten, wenn wir nicht eine Verspätung riskieren wollen...« »Undenkbar!«, ruft der Kunde entsetzt dazwischen. »Sehen Sie«, fährt der Blumenverkäufer fort, »uns bleibt also nur der Ausweg, das Auto in einer Seitenstraße zu parken und einen überzeugenden Grund für die Abwesenheit des Autos vor dem Haus Ihres Chefs zu finden«, beendet der Blumenverkäufer seine Schlussfolgerungen. Die Stirn des Kunden hatte sich während der ganzen Rede des Blumenverkäufers immer mehr in Falten gelegt, als er gewahr wurde, in welchem Dilemma er sich nun tatsächlich befand. »Einen solchen Grund kann ich mir überhaupt nicht denken, zumal mein Chef mit äußerster Genauigkeit unserer Argumentation folgen wird«, wirft der Kunde nun ein. »Wir könnten ihm sagen, der Parkplatz vor dem Haus sei belegt gewesen«, schlägt der Blumenverkäufer vor. »Aber wenn es nun nicht der Fall ist?«, fragt der Kunde zurück. »Dann sagen wir, der Parkplatz sei belegt gewesen, als wir vorfuhren, so daß wir in eine Seitenstraße gefahren sind, und als wir zu Fuß vom Parkplatz aus das Haus Ihres Chefs erreichten, sei das dort parkende Fahrzeug gerade davon gefahren«, verfeinert der Blumenverkäufer nun seinen Vorschlag. »Aber mein Chef wird sich fragen - ob er dies nun äußert oder nicht - warum wir nicht nach Freiwerden des Parkplatzes zu unserem Fahrzeug zurückgekehrt sind, um schleunigst die Lücke vor seinem Haus zu belegen und so den Anforderungen, die er an mich und meine Position stellt, gerecht zu werden«, sagt der Kunde. »Wir werden in dem Fall antworten, daß wir die Gefahr gesehen haben, daß nach unserer Rückkehr der Parkplatz von neuem belegt sein könnte«, versucht der Blumenverkäufer, dem Einwand des Kunden zu begegnen. »Glauben Sie, ich könnte mir erlauben, diese Gefahr zu scheuen, wo es um die berechtigten Interessen meines Chefs geht? Außerdem hätten Sie den Platz vor dem Haus freihalten können, während ich das Fahrzeug von seinem unmöglichen Parkplatz hole. Das würde auch gleichzeitig ein Stück Ihrer gesamten ungebetenen Anwesenheit auf der Geburtstagsfeier meines Chefs rechtfertigen«, erwidert der Kunde. Noch bevor der Blumenverkäufer antworten kann, fügt der Kunde als vermeintlich letzten Schlag gegen die Vorschläge des Blumenverkäufers hinzu: »Und bedenken Sie, daß es nicht nur einen Parkplatz vor dem Haus meines Chefs gibt!« »Aber in dieser Hinsicht ist es ganz klar, daß Ihrer Stellung entsprechend für Sie nur der beste Parkplatz - natürlich nach dem Parkplatz Ihres Chefs selbst - in Frage kommen kann. Das wird Ihr Chef keinesfalls anders sehen. Es kann daher doch nur ein möglicher Parkplatz vor dem Haus für Sie übrig bleiben«, antwortet der Blumenverkäufer prompt. »Das kann in der Tat nicht anders sein, was aber die Absurdität Ihres Vorschlags nicht mindert. Wir müssen des weiteren damit rechnen, daß mein Chef schon jetzt, während wir sein Haus noch gar nicht erreicht haben, am Fenster steht und unsere Ankunft erwartet, in jedem Fall also alle Parkplätze in Beobachtung hat und über ihre Belegung im Stillen und für sich längst Buch führt. Ihm also vorzugaukeln, der mir allein gemäße Parkplatz sei belegt gewesen, kann sich für ihn als niedrige Lüge entpuppen, was es ja auch tatsächlich ist. Über die Folgen dieser Erkenntnis wage ich hier gar nicht nachzudenken«, führt der Kunde verzweifelt aus. »An dieser Stelle muss ich einräumen, daß Ihre Bedenken nicht von der Hand zu weisen sind«, gibt der Blumenverkäufer zu und denkt ein paar Sekunden schweigend nach, während der Kunde kopfschüttelnd seine Fahrt fortsetzt. »Wir sagen einfach, wir wollten den Parkplatz für die Frau Ihres Chefs freilassen«, sagt der Blumenverkäufer plötzlich. »Sie wohnt doch bei ihm und braucht keinen eigenen Parkplatz«, weist der Kunde die neue Idee des Blumenverkäufers sofort zurück. »Haben Sie denn keinen gebrechlichen Mitarbeiter in Ihrem Unternehmen?«, fragt der Blumenverkäufer. »Nein«, antwortet der Kunde. »Denken Sie nach!«, fordert der Blumenverkäufer. »Nein, nein, nur unser Oberbuchhalter ist sehr schwerfällig«, entgegnet der Kunde. »Aha«, ruft der Blumenverkäufer aus. »Er ist sehr dick«, sagt der Kunde. »Da haben wir es doch!«, freut sich der Blumenverkäufer und fährt fort, »wir werden Ihrem Chef angeben, aus Rücksicht vor der hinderlichen Schwerfälligkeit Ihres Oberbuchhalters den Parkplatz direkt vor dem Haus nicht belegt zu haben, um ihm den Zugang ins Haus zu erleichtern.« »Aber er ist nur Oberbuchhalter und nicht Prokurist«, wirft der Kunde ein. »Aber Ihr Chef wird Ihre Rücksichtnahme als Tugend zu schätzen wissen«, sagt der Blumenverkäufer. »Das ist sehr fragwürdig«, entgegnet der Kunde. »Sie müssen eben während der Geburtstagsfeier Ihrer Stellung durch eine kleine Gemeinheit gegen den Oberbuchhalter Geltung verschaffen, welche als Ausgleich dient gegen Ihr Zurückstecken bei der Belegung des Parkplatzes«, schlägt der Blumenverkäufer vor. »Das kann ich nicht«, sagt der Kunde. »Seien Sie nicht zu zaghaft!«, fährt der Blumenverkäufer dazwischen und setzt seine Rede fort, »außerdem erheben Sie sich schon durch die bloße Rücksicht über den Oberbuchhalter, dessen Leibesfülle Sie damit zur Gebrechlichkeit stempeln«. »Das ist doch widerlich!«, ruft der Kunde entsetzt aus. »Ja, Sie haben recht, aber es scheint mir in Ihrer Lage der einzige Ausweg zu sein«, stimmt ihm der Blumenverkäufer zu. Inzwischen nähern sie sich der Siedlung, in welcher der Chef wohnt. »Dem Oberbuchhalter möchte ich tatsächlich den besten Platz vor dem Haus meines Chefs überlassen, um ihm den Gang ins Haus nicht zu beschwerlich werden zu lassen«, spricht der Kunde leise vor sich hin. »Sehen Sie!«, freut sich der Blumenverkäufer über die sich nun ankündigende Entscheidung. »Ich werde genau die Reaktion meines Chefs über dieses Verfahren beobachten müssen. Bei den leisesten Zweifeln an meiner Person und meinem Amt werde ich mich an seine Seite stellen und mich über den Oberbuchhalter erheben müssen. Dabei werde ich jedoch von seiner Schwerfälligkeit keinen Gebrauch machen, sondern mich nur gegen seine buchhalterische Tätigkeit wenden«, spinnt der Kunde seine Pläne fort. »Die plötzliche Klarheit, mit der Sie alles vorauszusehen wissen und sich auf jede überraschende Situation vorzubereiten scheinen, freut mich«, begeistert sich der Blumenverkäufer über die nun gefundene Vorgehensweise. Dann biegen der Kunde und der Blumenverkäufer von der Hauptstraße ab und fahren in die Siedlung, in welcher der Chef wohnt, ein.
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