»Sehen Sie etwas?«, flüstert der Kunde dem Blumenverkäufer fragend zu. Der Blumenverkäufer hat inzwischen beide Hände zu Hilfe genommen und schiebt mit beiden Zeigefingern den Vorhang in der Mitte etwas nach links und rechts auseinander, während gleichzeitig Mittelfinger und Daumen den Vorhang oberhalb und unterhalb des entstandenen Spaltes wieder schließen, so dass nur ein kleines Loch übrig bleibt, das den Blick in das Innerste des Geburtstagszimmers freigibt. »Ich weiß es noch nicht«, antwortet der Blumenverkäufer, »lassen Sie mir eine Minute Zeit für eine genaue Betrachtung.« Der Blumenverkäufer legt sein rechtes Auge über das Loch. Der Raum hat hohe Decken und ist gleichmäßig mit einem Dunstschleier gefüllt. Auf der rechten Seite ist eine dunkelbraune niedrige Schrankzeile zu sehen, auf dessen Ende ein Mann in einem schwarzen Anzug mit angewinkeltem Arm sich aufstützt. Er raucht eine Zigarette und blickt in die Mitte des Raumes, ohne sehr konzentriert zu erscheinen. Auf der linken Seite sind zwei Fenster, von denen eines geöffnet ist und aus dem sich eine weitere Person, von welcher nur der Rücken zu sehen ist, hinauslehnt. »Die Quelle des Rauschens, welches wir schon vernahmen, ist der Regen, der durch ein geöffnetes Fenster zu hören ist«, sagt der Blumenverkäufer leise, ohne sich dem Kunden zuzuwenden. »Ach so«, flüstert der Kunde und atmet etwas entspannter auf. »Ist denn niemand anwesend?«, fragt der Kunde. »Doch, mindestens zwei Personen, möglicherweise auch mehr, wozu ich Ihnen erst Details preisgeben kann, sobald meine Untersuchungen vollständig abgeschlossen sind«, entgegnet der Blumenverkäufer. »Sehen Sie meinen Chef?«, fragt der Kunde. »Wie sollte ich darüber eine zuverlässige Auskunft geben können, da ich doch - wie Sie wissen - Ihren Chef noch nie gesehen habe?«, erwidert der Blumenverkäufer sachlich. Der Kunde entgegnet gereizt: »Habe ich Ihnen nicht auf unserer Reise von Ihrem Blumengeschäft hierhin eine Vorstellung von meinem Chef vermittelt, die ausreichend genau ist, um ihn zu erkennen, auch ohne ihm je persönlich begegnet zu sein?« »Ihre Darstellungen waren sehr gut - das möchte ich Ihnen zugestehen -«, antwortet der Blumenverkäufer, »lassen jedoch dem Vorstellungsvermögen einen kleinen Spielraum, der eine Identifizierung Ihres Chefs, die als sicher bezeichnet werden kann, nicht möglich macht.« »Dann lassen Sie mich meine Frage anders formulieren«, sagt der Kunde, »sehen Sie eine Person, die Sie im Rahmen Ihres kleinen Spielraums als meinen Chef anzuerkennen bereit wären?« Der Blumenverkäufer, der sich dem Kunden zugewendet hatte, blickt wieder durch das Loch im Vorhang. Nach einer Weile beantwortet er die Frage des Kunden: »Nein.« »Aber das ist nicht möglich!«, zischt der Kunde dem Blumenverkäufer ins Ohr. »Ich habe mich nur über die Personen geäußert, die ich bisher und zu einem Zeitpunkt gesehen habe, zu dem meine Untersuchungen noch nicht beendet waren«, äußert sich der Blumenverkäufer zur Behauptung des Kunden. Der Blumenverkäufer blickt auf die Rückseite eines großen Ohrensessels in der Mitte des Raumes. Dicker Qualm steigt von der ihm abgewandten Seite des Sessels auf. »Mindestens zwei Personen rauchen«, flüstert er, ohne den Kunden anzusehen. Ein Arm liegt auf einem kleinen Seitentisch mit einer Glasplatte zur Linken des Sessels und in der zugehörigen Hand ist ein glänzender länglicher Gegenstand, der in diesem Moment durch ihre Finger gleitet und auf die Glasplatte schlägt. Klack! »Aha«, triumphiert der Blumenverkäufer. Der Kunde wankt unruhig hin- und her und fragt den Blumenverkäufer ungeduldig: »Was nur haben Sie denn herausgefunden?« Der Blumenverkäufer, der immer noch beide Hände verwendet, um das Loch im Vorhang aufrecht zu erhalten, hebt einen Ellenbogen in Richtung des Kunden, um dessen Ungestüm zu bremsen und seiner Ungeduld Einhalt zu gebieten. Gegenüber dem Ohrensessel taucht ein junger Mann auf, als sich dieser etwas zur Seite neigt und damit den Blick auf ihn freigibt, der bisher von der Wand des Sessels verdeckt war. Er hat eine Hand über Kinn und Mund gelegt und schüttelt langsam und schwer den Kopf. Rechts neben dem Sessel steht ein großes Sofa, auf dessen Rückwand der Blumenverkäufer blickt und das nicht besetzt zu sein scheint. »Es ist möglich, dass ich Ihren Chef gefunden habe«, flüstert der Blumenverkäufer, während er sich dem Kunden zuwendet. »Sind Sie sich ganz sicher?«, fragt der Kunde angespannt. »Ich sprach von einer Möglichkeit«, entgegnet der Blumenverkäufer. »Lassen Sie mich einen Blick durch das Loch werfen, um Ihre Einschätzung zu kontrollieren«, bittet der Kunde den Blumenverkäufer und fährt fort: »Ein sicherer Auftritt und eine traumwandlerische Orientierung auf dem letzten und entscheidenden Teilstück unseres Weges zu meinem Chef ist unabdingbar, bevor wir ihm gegenüber treten und das Geschenk überreichen können.« Der Blumenverkäufer zuckt bei den letzten Worten des Kunden zusammen und greift sich mit beiden Händen, die damit den Zusammenhalt des Vorhangloches, das sich schnell unter dem Gewicht des Vorhangs wieder schließt, aufgeben, an die Seite und die Hosentaschen; doch er greift ins Leere. »Haben Sie die Schnapsflasche?«, fragt er beunruhigt den Kunden. »Nein, nein, Sie hatten doch...«, stottert der Kunde. »Ich weiß nicht, wer die Flasche zuletzt hatte«, fällt der Blumenverkäufer dem Kunden ins Wort, »aber wenn Sie die Schnapsflasche nicht haben und ich sie gewiss auch nicht habe, dann ist sie in einer der Taschen unserer Mäntel, die sich nun in der Obhut des Hausdieners befinden.« Der Kunde hat eine Hand an seine Wange gelegt und schaut den Blumenverkäufer förmlich zitternd an. »Wie konnte das nur nach all der sorgfältigen Vorbereitung, die uns bis in diese Vorkammer geführt hat, passieren? Ich will keine Sekunde darüber nachdenken, wie es uns ergangen wäre, hätten wir den Hauptraum der Geburtstagsfeierlichkeiten nun schon betreten und die unvermeidliche Aufmerksamkeit meines Chefs erregt, ohne das Geburtstagsgeschenk bereit zu halten.« Der Kunde hat sich bei diesen Worten umgedreht und drückt seine Stirn schwermütig und mit geschlossenen Augen gegen die Tür. Auch der Blumenverkäufer ringt um seine Fassung: »Sie haben Recht. Ich werde die Flasche umgehend holen, um unsere Position zu retten. Es ist noch nichts verloren.« Ohne sich dem Blumenverkäufer zuzuwenden, spricht der Kunde mit plötzlicher Entschlossenheit gegen die Tür, an die er noch immer sich presst: »Nein! Das werde ich diesmal nicht Ihnen überlassen. Ich werde selbst die Schnapsflasche holen«. Und im Moment, in dem er diese Worte gesprochen hat, ergreift er die Türklinke vor ihm, öffnet die Tür und verlässt die Vorkammer des Geburtstagszimmers zurück in den Flur, durch den beide gekommen waren. Bevor der Blumenverkäufer Einspruch erheben kann, schließt sich die Tür vor seinen Augen.
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