Erlebnis an einem Samstag im Juni.
Zu ihrer Geburtstagsfeier hatte C. mich, den selbsternannten Heiler S. nebst Frau und Kindern sowie einen etwa 40jährigen T. eingeladen. Da schönes Wetter war, beschloss man, an die schöne Stelle am Fluß zu fahren, um ein wenig die Natur zu genießen. Ich entschied mich, im Auto des S. und seiner Frau mitzufahren, meine Bedenken hinsichtlich der Gesprächsthemen tapfer niederkämpfend.
Auf dem Hinweg war es erträglich. Die Frau des S. fragte mich ein wenig aus, sie machte einen recht gebildeten, zurückhaltenden Eindruck. S. ließ eine Keimzeit-CD im Autoradio laufen.
Die Zeit am Fluß wurde genutzt, um ein kleines Lagerfeuer zu machen und Gespräche zu führen. Der S. entpuppte sich als ziemlich cooler Typ. Als Veganer und Vater zweier Kinder, die ebenfalls mit dabei waren, strotzte er vor Selbstbewußtsein. Er rauchte Selbstgedrehte aus einer kleinen Metallschachtel. Ich wußte, daß sein Sohn (11) ebenfalls Veganer war, angeblich aus eigener Überzeugung.
Auf der Rückfahrt wurde es schlimm. Der S. begann sich mit dem T. zu unterhalten, der mit im Auto saß. Er sprach dabei über Chemtrails, Chakren und Auren wie ein Kfz-Mechaniker über Pleuelstange und Getriebe. Man könne Chemtrails mit einem [...]-Apparat (Name vergessen) relativ leicht auflösen, erklärte er. Dabei werde ein Rohr gegen die Wolke gerichtet und erzeuge ein etwa kreisrundes Loch darin, unter dem man geschützt sei. Es gebe dafür Bausätze. Wilhelm Reich habe diese Technologie entwickelt und ein Amerikaner (ihm fiel der Name nicht ein) habe sie dann verfeinert. Er habe sich jedoch angewöhnt, »einfach einen guten Wunsch ans Universum« zu schicken, das würde die »künstlichen Wolken« auch auflösen. Er habe es kürzlich erst probiert, es habe gewirkt. Der T. schien begeistert und fing dann seinerseits an, die Kirlianfotografie sei ja jetzt durch »Echtzeit-Verfahren« ersetzt worden. Man könne live beobachten, wie die Chakren reagieren. Das habe er getestet, weil er habe wissen wollen, ob es bspw. eine Reaktion auf Zucker gebe.
Nun weiß ich von der C., daß der S. erbitterter Gegner von Zucker ist, denn dieser (Raffinadezucker) sei ein Verbrechen und äußerst schädlich.
T. jedoch habe mit seinen Chakren-Experimenten zeigen können, daß es gar keine Reaktion auf Zucker gebe. Die Menschheit werde verarscht, Zucker sei überhaupt nicht schädlich.
S. blieb professionell ruhig, immerhin heilt er ja mit purer Liebe.
Man schwenkte dann schnell zu einem anderen Thema: Die Schule, auf die die beiden Kinder des S. gingen, sei im Grunde wie eine Sekte. Das wurde mit betroffenen, leicht angewiderten Ton geäußert, so als habe man etwas gegen diese Tatsache (aber nicht genug, um Konsequenzen zu ziehen).
Gleich danach ging es wieder um Aura-Fotografie. Man könne zweifelsfrei feststellen, erklärte der S., daß der fotografierte Moment mit einem anderen aus einem vorigen Leben korrespondiere, wenn man das Konzept des 12-dimensionalen Raums von Heim zugrunde lege ...
Das ging so weiter, und ich starrte stur und düsteren Blicks aus dem Fenster, um mir jeglichen Kommentar zu verkneifen. Harte Arbeit.
Sich vorzustellen, daß es jede Menge Leute gibt, die dem S. blind vertrauen und statt einem Arzt lieber ihn aufsuchen, weil sie davon ausgehen, er besitze übernatürliche Heilkräfte, will pausenloses Kopfschütteln hervorrufen. Die C. ist auch schon ganz vernarrt in diesen Typen. Sie braucht selbstbewußte Leute um sich, die den Eindruck vermitteln, als wüßten sie, wovon sie reden.
Ich gehe davon aus, daß sie mich ebenfalls zu diesem Personenkreis zählt, denn ihr (an sich vorteilhafter) ungebremster Wissensdurst läßt sie sich immer wieder an mich wenden, wenn Erklärungsbedarf für irgend etwas besteht. Leider scheint sie nicht in der Lage zu sein, zwischen wahnhaft-paranoiden und wissenschaftlichen Erklärungsmodellen zu unterscheiden. Solange sie eine Erklärung bekommt, sind ihr deren Herkunft und Qualität egal.
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